Am Sack vorbei nach Halle

Durch das Biosphärenreservat Sack an der Saale sollen Containerschiffe fahren. Dann kommt angeblich der wirtschaftliche Aufschwung nach Halle    ■ VonThorsten Denkler

Magdeburg (taz) – Der Ort hat eine besondere Stille. Nur die Blätter rauschen, die Bienen summen, und die Kormorane gleiten durch die Luft. „Sack“ nennen die Einheimischen die kleine Insel, die von einem Seitenarm der Saale umschlungen wird. Kurz vor der Mündung der Saale in die Elbe steht Ernst Paul Dörfler und lauscht den großen schwarzen Vögeln, die nicht so recht in das Bild von deutschen Landen zu passen scheinen, aber schon seit Urzeiten hier nisten.

Diesen Ort will Dörfler bewahren. Er ist der Leiter des BUND-Elbe-Projekts und wehrt sich gegen den geplanten Ausbau der letzten 20 freifließenden Saale-Kilometer zu einer Hochleistungswasserstraße. Daran, sagt er, würden die noch intakten Auenwälder und auch das kleine Eiland mit den Kormoranen zugrunde gehen. Die Europäische Union hat es zum Vogelschutzgebiet erklärt, und seit 1979 steht es als Biosphärenreservat unter dem Schutz der Vereinten Nationen. „Damals wußte im Westen kaum einer, wie das Wort geschrieben wird“, sagt Dörfler.

1992 jedoch wurde der Saale-Ausbau zum vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans erklärt. Vom neuen Bundesverkehrsminister Franz Müntefering (SPD) erhofft sich Dörfler nun Hilfe. Er soll den Saale-Ausbau aufgeben. Wenn nichts geschieht, könnten in Zukunft mitten durch den Steckby-Lödderitzer Forst, am Sack vorbei bis zur Elbe-Mündung riesige Containerschiffe zum Hafen Halle fahren. Vor zwei Jahren wurde die Wirtschaftlichkeit des Projekts erneut überprüft, die eindeutig für den Ausbau spricht. Demnach übersteigt der Nutzen der Wasserstraße die Aufwendungen für den Ausbau um das Vierfache. Nur formale Fragen zur Umweltverträglichkeit haben im April das Raumordnungsverfahren verhindert.

Von Müntefering hat Dörfler jedoch nicht viel zu erwarten. „Der Saale-Ausbau ist sinnvoll“, befand Müntefering gestern beim 3. Elbe Kolloquium der Otto-Stiftung für Umweltschutz in Magedeburg. Allerdings versprach er bei Überprüfung des Verkehrswegeplans, noch einmal „genauer hinschauen“ zu wollen: „Nur maßvolle und behutsame Lösungen werden realisiert.“ Die Haltung der SPD-Fraktion im Bundestag ist dagegen eindeutig: „Wir wollen den Saale-Ausbau nicht“, sagt Annette Faße, Binnenschiffahrtsexpertin der Fraktion, räumt aber ein, den Beschluß von Münteferings Vorgänger nicht einfach kippen zu können. „Es gibt rechtliche Auflagen, die wir zu erfüllen haben.“

Der Chef des Wasser- und Schiffahrtsamtes Magdeburg, Rolf Lack, sieht keinen Grund, von dem Vorhaben abzulassen. Man könne ausbauen, auch ohne das Ökosystem in unverantwortlicher Weise zu stören. Motor des Ausbaus ist die SPD-Landesregierung von Sachsen-Anhalt und der Hafen Halle. Beide versprechen sich davon, die strukturschwache Region rund um Halle voranzubringen. 2010 sollen 5,3 Millionen Tonnen Güter über die Saale transportiert werden. Man hofft auf neue Industrien, wenn erst einmal der Transportweg steht.

Dörfler hält das für Märchen. Die Saale habe für die Binnenschiffahrt kaum eine Bedeutung. 1998 wurden gerade mal 0,087 Millionen Tonnen transportiert. „Wenn sie hier ein Schiff vorbeifahren sehen wollen, müssen sie schon ein Zelt aufschlagen und eine Woche warten.“ Noch kurz vor der Wende sei das Zehnfache der heutigen Menge transportiert worden. Von einem Anstieg des Bedarfs könne da keine Rede sein.

Angelika Zahrnt, Bundesvorsitzende des BUND, hält auch nichts von dem Argument, mit dem Ausbau der Saale steige auch der Bedarf. Im Gegenteil: „Durch den Ausbau der Flüsse ist der Anteil der Binnenschiffahrt am Gesamtverkehrsaufkommen in den letzten vier Jahren von 30 auf unter 20 Prozent gesunken.“

Weniger Sorgen müssen sich die Flußschützer um die Elbe machen. 1996 einigten sich die Umweltverbände mit dem damaligen Verkehrsminister Wissmann auf eine gemeinsame Elbe-Erklärung (siehe Kasten). Auf ihrer Grundlage wurde ein ökologischer Kriterienkatalog entwickelt, der den Ausbau auf das Notwendige reduziert. Müntefering hat sich gestern zum ersten Mal klar hinter die Erklärung gestellt.

Ein Grund mag sein, daß die Saale in der Erklärung ausgeklammert blieb. Denn zum Saale-Ausbau läßt sich Müntefering nicht gerne ansprechen. In der vergangenen Woche sprach er vor dem Bundestagsausschuß „Binnenschiffahrt“. Münteferings Äußerungen zur Saale, erinnert sich ein Teilnehmer, seien so nebulös, daß im nachhinein niemand einzuschätzen vermochte, ob er denn nun für oder gegen den Ausbau sei.