„Ich verschrotte Dich, Du Trottel“

■ Beim Wettkampf autonomer mobiler Roboter werden Gegner ausgeknipst – per Knopfdruck

„Mensch Karlsson, anders rum, leg ihn dir zurecht, drück ihn in die Ecke, ja,ja jetzt einen Rechtsausleger.“ Anfeuerung, Beifall und entäuschtes Stöhnen des Publikums wechselten sich am vergangenen Donnerstag permanent ab im Börsensaal der Handelskammer Hamburg. Allerdings standen sich im Allerheiligsten von Handel und Wandel keine menschlichen Fighter gegenüber, um ihre Kräfte zu messen, sondern autonome mobile Roboter, konstruiert von Informatikstudenten der Fachhochschule Hamburg.

Die künstlichen Kämpfer tragen Namen wie Ivan der Irre, Herr Karlsson, Desperado und Kuddel und sehen zur Entäuschung mancher Zuschauer keineswegs wie stählerne Monster aus Science-Fiction-Filmen aus, sondern eher wie kleine Lego-LKW mit Plexi-glasaufbauten. Neun solcher Elektromobile müssen mit ihren dicken Stoßstangen in einem kleinen, viel-eckigen Parcours drei Minuten gegeneinander kämpfen und vor allem sich gegenseitig stillegen. Auf dem Schauplatz des Geschehens befinden sich einige Hindernisse, die es den Kontrahenten erschweren sollen, sich auf dem Börsenparkett zurehtzufinden.

Das Orientierungsvermögen der programmierten Kleinroboter zu testen und zu verbessern ist das Ziel des Wettkampfes. „Neben dem damit verbundenen Spaß“, korrigiert Professor Kai Klauck vom ebenfalls beteiligten Fachbereich Elektrotechnik, „und dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, wie künftig diese Maschinen noch wendiger werden und noch besser funktionieren können“.

Doch zurück zum Schaukampf der Giganten, wie ihn eine anwesende Studentin spöttisch nennt. „Ivan, du Dussel, andersrum, raus aus der Ecke, hinten ist anderswo“, ruft verzweifelt Florian Boldt, der Konstrukteur von Ivan dem Irren, der in der ersten von mehreren Ausscheidungsrunden gegen Herrn Karlsson, Marvin und XXL antritt. Aber die Anweisungen fruchten nichts, der Elektrokübel bleibt taub. Er kreist erst um seine eigene Achse, mogelt sich an seinen Gegnern vorbei in eine Ecke und gibt dann mit einem häßlichen Grrrxxx seinen Geist auf. XXL knirscht und rotiert noch ein Weilchen, tastet sich vorsichtig an seinen Kollegen heran und kuschelt sich schließlich mit sanftem Pfffft an ihn. Das ist die Chance für Marvin. Hinterrücks überfällt er den Schmusebären und drückt ihm seine Stoßstange ins Kreuz.

Knips. XXL ist abgeschaltet, Punkt für Marvin. Wäre da noch Herr Karlsson. Der aber kreiselt vergnügt wie eine brummende Hummel auf der anderen Seite des Parcours herum und hofft wohl auf ein Fangspiel. Er macht keine Anstalten, sich Marvin zu nähern. Schließlich, nachdem beide die drei Minuten überstehen, ist klar: Beide sind eine Runde weiter.

Bernd Osnicki-Kleve gibt in der Zwischenzeit eine Kurzeinführung in das umfangreiche Regelwerk, das „in seiner Kompaktheit lexikalischen Großwerken wie der Enzyklopädia Britannica gleicht“: Aufgabe der Roboter ist es, drei Minuten zu überstehen, und die Gegner stillzulegen. Das ist erreicht, wenn die sich entweder selbst abschalten, oder über den am Hinterteil angebrachten Schalter ausgeknipst werden. Ansonsten, so der Informatikprofessor, gebe es noch einige Unwägbarkeiten, „die es spontan nötig machen, neue Regeln zu erfinden“. Dies würde er Kraft seines Amtes ohne Diskussion auch sofort machen. „Im übrigen“, gibt Osnicki-Klewe die phantastischen Gewinne bekannt, „erhält der Konstrukteur des Siegers eine Flasche Grappa, für alle Studenten gebe es Scheine für die Veranstaltung und außerdem wie bei jedem sportlichen Wettkampf Urkunden.“

Die nächste Qualifikation wird nicht gewertet, da alle Teilnehmer innerhalb kürzester Zeit und ohne Feindberührung einschlafen. Also noch einmal von vorne. Jim Knopf, Kuddel, der frenetisch bejubelte Lokalfavorit Seven of Nine und Desperado treten erneut gegeneinander an. „Ausgeboxt, selbst abgeschaltet, du Trottel“, so wird Kuddels Abgang kommentiert. Auch Jim Knopf ist schnell ausgeknockt, Damit stehen die Teilnehmer am großen Finale fest.

Schnell wird noch einmal kalibriert. Das ist das Zauberwort an den Boxen der autonomen mobilen Roboter. Nachdem die Sensortechnik neu auf ihre Umgebung eingestellt und die Abschaltknöpfe und Displays noch einmal überprüft wurden, geht es ab in den Ring. Seven of Nine wechselt sofort auf die andere Seite des Parcours. Sein Sensorium interessiert sich anscheinend nicht für die Konkurenz. Kuddel und Marvin umkreisen sich. Marvin macht Anstalten einzuschlafen, bis sein Konstrukteur droht: „Marvin du Trottel, mach keinen Blödsinn, ich verschrotte dich, wenn Du nicht gewinnst.“

Das scheint zu wirken, denn mit ungeahnter Schnelligkeit erhält Kuddel plötzlich doch einen Stoß ins Kreuz und verstummt. Der irre Ivan rächt daraufhin Kuddel. Am Schluß aber siegte die Taktik – oder das Unvermögen von Seven of Nine, Ivan den Irren zu finden. Nachdem dieser ein Hindernis rempelt und Selbstmord begeht, wie Florian Boldt trocken konstatiert, geht der Grappa an Marvins Besitzer. Der nimmt ihn ebenso freudig in Empfang wie die anderen Studenten ihre Seminarscheine und die Urkunden für alle.

Diese bescheinigt den Studenten die Fähigkeit „sinnlose Softwareprogramme zu schreiben und unnütze Materialteile ineinanderzustecken und zu verkabeln“. In der Hoffnung, auch anwesende Wirtschaftsvertreter vom Sinn solcher Kleinroboter überzeugt zu haben, versprechen die Initiatoren Klauck und Osnicki-Klewe zum Abschluß des ungewöhnlichen Schaukampfs eine neue Runde in sechs Monaten. Danach ziehen sich Studenten und Professoren zur wissenschaftlichen Auswertung der Kämpfe in eine nahe gelegene irische Kneipe zurück. Hubert Bätz