Böswillige Verächtlichmachung

■ Staatsschützer als Musikkritiker: Weil sie bei einer Demonstration einen Song der Punkband Slime spielte, steht eine Aktivistin vor Gericht. Versuch einer Werkanalyse

Die Punkgruppe Slime liebt es derb und drastisch, vor allen Dingen aber nicht deutsch. „Wo Faschisten und Multis das Land regier'n/ Wo Leben und Umwelt keinen interessier'n/ Wo alle Menschen ihr Recht verlieren/ Da kann eigentlich nur noch eins passieren/ Deutschland muß sterben, damit wir leben können“, so heißt es in ihrem Song „Deutschland verrekke“. In Deutschland sieht die linksradikale Band ein „Viertes Reich“ Gestalt annehmen. Vor der Staatsschutzkammer des Berliner Landgerichts wird derzeit verhandelt, inwieweit diese Art der Meinungsäußerung zulässig ist.

Einer jungen Frau, Nuran Ayten, wird vorgeworfen, sie habe den Staat verunglimpft, weil sie unter anderem den Slime-Song „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ vor fünf Jahren von einem Lautsprecherwagen auf der autonomen 1.-Mai-Demonstration in Berlin abgespielt habe. Daß Nuran Ayten wegen dieses und zwei weiteren angeblich begangenen Äußerungsdelikten seit mehreren Wochen in Untersuchungshaft sitzt – trotz festem Wohnsitz und Arbeitsplatz, wie ihr Anwalt sagt – , das zeigt, daß das Landgericht Berlin durchaus willens ist, einen Schuldspruch zu fällen. Dabei kann es sich aber nur auf eine sehr weite Auslegung der Staatsschutzvorschrift oder aber auf eine ziemlich eingeengte Auslegung des Liedes stützen.

Als Beschimpfung der Bundesrepublik gilt, so spiegelt die Rechtsprechung das Strafgesetzbuch (§ 90a), eine „besonders verletzende Äußerung der Mißachtung“, die bereits mit einem Vergleich der Bundesrepublik mit dem Dritten Reich gegeben sein soll oder wenn behauptet wird, sie habe RAF-Gafangene im Gefängnis ermordet. Allerdings hat das Verfassungsgericht Anfang des Jahres noch einmal verlangt, daß angesichts des hohen Stellenwerts der Meinungsfreiheit die Schmähung so gravierend sein müsse, daß dahinter eine sachbezogene Kritik nicht mehr zu erkennen sei.

Vor dem Berliner Landgericht wird mit dieser Frage offenbar weniger skrupulös umgegangen: Das Zusammenspiel von „Deutschland“ und „Sterben“ sowie weiterer Parolen soll nur eine Interpretation zulassen: „Böswilliges Verächtlichmachen“. Man kann den inkriminierten Song freilich auch anders lesen. In dem beanstandeten Slime-Song geht es zwar um Deutschland, nicht in erster Linie aber um den Staat, die Bundesrepublik, sondern, umfassender und in eine andere Richtung zielend, um die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt und deren über die jeweilige staatliche Verfassung hinausweisende Kontinuität, wobei insbesondere der Nationalsozialismus, der kurz gegriffen als Faschismus verstanden wird, ein wichtiger Bezugspunkt ist.

Schon der Refrain verkehrt die nazistische Parole: „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen.“ Daß es eine deutsche Kontinuität gibt, ein Fortleben des Nationalsozialismus im neuen Deutschland, sowohl auf personeller als auch auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene, steht eigentlich außer Frage. Das „Deutschland“, dessen Sterben oder – wieder ein Versuch der Übernahme durch Verkehrung – dessen „Verrecken“ Slime herbeisingen wollen, ist genau dieses Konglomerat autoritärer Tradition. Daß die Punker dieses in den Achtzigern entstandene Lied mit ein bißchen Umweltschutz-Propaganda und Technikfeindlichkeit garniert haben, ist Ausdruck der Verbundenheit mit dem politischen Zeitgeist ihrer Szene – und unterstreicht, daß es ihnen tatsächlich nicht so sehr um die Bundesrepublik als Staat geht, sondern Deutschland ihnen in erster Linie als Metapher zur Charakterisierung einer umfassenden politischen Tendenz dient, die es zu bekämpfen gilt.

Erst auf einer späteren Platte, „Schweineherbst“, findet eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Staatswesen „Bundesrepublik Deutschland“ statt, deren Aussage auch durchaus anders ist: „Das 4. Reich ist nicht mehr weit/ es drohen die Schatten der Vergangenheit/ ein leichter Wind weht über das Land/ der Sturm des Faschismus ist noch nicht gebannt.“ Das, was die deutschen Gerichte regelmäßig als Beschimpfung im Sinne des § 90a StGB auffassen, die Gleichsetzung der BRD mit dem 3. Reich findet hier gerade nicht statt: Es wird auf eine bedrohliche Tendenz hingewiesen, die „noch nicht“ gebannt sei.

Auch wenn die poetischen und politisch-analytischen Qualitäten des Slime-Liedes nicht restlos überzeugen können – seine Bewertung als „Verunglimpfung des Staates“ nach § 90a StGB durch die Justiz in der ehemaligen Reichs- und jetzigen Bundes-Hauptstadt wäre sicherlich ein bedenkliches Signal. Jede kulturelle und politische Auseinandersetzung, die das Überdauern und Wiederaufleben nazistischer Elemente in der BRD zum Thema hätte, so müßte man dann befürchten, geriete unter den Generalverdacht der Verunglimpfung. Daß die Bundesrepublik eine schimpfliche und bis weit in die Gegenwart hineinreichende Vergangenheit hat, würde damit gegen diejenigen gewendet, die sich damit kritisch auseinandersetzen. Oliver Tolmein

Weite Auslegung des Gesetzes oder enge Auslegung des Songs – auf mehr kann sich die Anklage eigentlich nicht stützen