Wild, but mild – Jugend für den Kanzler

Junge „Modernisierer“ wollen mehr Bewegung für die alte Tante SPD – und neue Posten für sich. Netzwerk, eigene Zeitung und weitere Papiere sollen bei der Durchsetzung ihrer Ideen helfen  ■   Von Jutta Wagemann

Berlin (taz) – Parlamentsneulinge, die mit eigenen Ansichten an die Öffentlichkeit gehen, sind bei Fraktionsvorsitzenden nicht gern gesehen. Vor allem in den Regierungsfraktionen gilt: Geschlossenheit zeigen. Da macht SPD-Fraktionschef Peter Struck keine Ausnahme. Abgeordneten mit Profilierungsdrang müsse man sofort einen Riegel vorschieben, sagte er kürzlich. Damit meinte er die Grünen und ihre interviewfreudigen Haushaltspolitiker. Seit dem Wochenende hätte Struck Anlaß, auch in der eigenen Fraktion den Maulkorb zu verhängen. Bislang jedoch hat er darauf verzichtet.

Zwölf SPD-Bundestagsabgeordnete im Alter zwischen 30 und 40 Jahren kritisieren in einem Papier mit dem Titel „Aufbruch nach Berlin“ die eigene Partei. Öffentliche Kritik und auch noch schriftlich – das reicht normalerweise für einen handfesten Krach. Daß es in der SPD-Fraktion bis gestern eher ruhig blieb, liegt nicht nur an der Sommerpause. Es ist der Inhalt des Papiers selbst. Die Nachwuchspolitiker – acht aus dem Westen, vier aus dem Osten, darunter zwei Frauen – unterstützen den Kurs ihres Parteivorsitzenden auf ganzer Linie. Keine Kursabweichler also – Struck kann erst einmal aufatmen.

So deutliche Unterstützung wie in dem sechsseitigen Schreiben hat Schröder lange nicht bekommen. Dennoch betont der 23jährige Carsten Schneider, jüngster Bundestagsabgeordneter und einer der Initiatoren des Papiers: „Wir sind keine Kanzlerjünger.“ Die jungen Abgeordneten, darunter Richter, Anwälte, Ingenieure und Lehrer, sehen sich als Modernisierer in ihrer Partei. Parteichef Schröder stehen sie nicht unkritisch gegenüber. Fünf von ihnen hatten schon im März nach der verlorenen Hessen-Wahl in einem Papier mit dem Titel „Mut zum Regieren“ der Bundesregierung den „absurden Druck“ vorgeworfen, mit dem die Reformgesetze durchgedrückt werden sollten.

Den Kurs Schröders auf die Neue Mitte aber unterstützen die Abgeordneten, die bereits ein Netzwerk gegründet haben, um ihre Anliegen durchsetzen zu können. Denn mit den alten Strukturen und Personen in der Partei können sie nicht viel anfangen. So fordern sie unverblümt eine personelle Erneuerung der SPD. Im Parteivorstand säßen „Leute, die vielleicht nicht mehr die Legitimation dazu haben“, sagt Schneider. Ein Generationswechsel sei angesagt – am besten beim Parteitag im Dezember. Johannes Rau muß dann als Bundespräsident ohnehin seinen Vorstandsposten aufgeben. Und der SPD-Nachwuchs sähe lieber jüngere Politiker im Vorstand: Matthias Platzeck, den Oderflut-Minister und jetzigen Potsdamer Oberbürgermeister, oder dessen Leipziger Amtskollegen Wolfgang Tiefensee.

Daß die SPD erst im Juni Arbeitsgruppen eingesetzt hat, die die Vorschläge des Schröder/Blair-Papiers konkretisieren und auf Grundsatzprogramm-Niveau bringen sollen, reicht den jungen Abgeordneten nicht. „Arbeitsgruppen, die von oben eingesetzt wurden, das hört sich ja schon spannend an“, sagt Schneider ironisch. Es fehlten in Partei und Fraktion Foren, in denen wirklich diskutiert werde. Die Verfasser des „Aufbruch“-Papiers wollen deshalb ihre Arbeit fortsetzen. Im Herbst sollen Papiere zu weiteren Themen erscheinen. Ab Oktober wollen sie diese Ideen in einer eigenen Zeitung, der Berliner Republik, verbreiten.

Denn die jungen Abgeordneten haben eines sehr schnell gelernt in Bonn: Sie müssen auf sich aufmerksam machen, um vorwärts zu kommen. Dazu bleibt ihnen erst einmal nur diese Legislaturperiode. Denn einige von ihnen, wie der Erfurter Carsten Schneider und der Eisenberger Karsten Schönfeld, hatten das Direktmandat überraschend der CDU abgenommen. Das kann bei der Wahl 2002 ganz anders aussehen. Bis dahin wollen sie sich einen sicheren Platz auf der Landesliste erkämpfen. Also heißt es: sich weiter profilieren.

Der linke Flügel der SPD-Fraktion verfolgt das Auftreten der „Modernisierer“ mit Skepsis und Ablehnung. Gerade unter den jungen SPD-Abgeordneten finden sich durchaus nicht nur Schröder-Anhänger. Die ehemalige Juso-Vorsitzende Andrea Nahles vertritt die traditionelle SPD und ist für streitlustige Auftritte bekannt. Sie hat noch immer die Jugendorganisation der SPD hinter sich, die am Wochenende bereits gegen das Papier protestierte.

Auf Peter Struck dürfte eine Menge Arbeit zukommen.