Durchtrainierter Tragöde

Dem fressen wir aus der Hand: Nick Cave mit exzellenten Begleitern auf dem WestPort  ■ Von Christian Buß

So ein Flügel verbreitet Ehrfurcht. Aber die sympathischen Großmäuler und aufgekratzten Tragöden der Rockmusik haben sich durch ihn nicht einschüchtern lassen, sondern seine stattliche Erscheinung als Herausforderung genommen. So wie Jerry Lee Lewis, der ihn gerne mit Füßen und Arschbacken bediente, oder wie John Cale, der schon mal bekokst den Kopf auf die Tasten knallen ließ. Oder eben so wie Nick Cave, der ganz in der Tradition der großen Rock'n'Roll-Randalierer auf dem Stainway sein ganz eigenes Idiom erschaffen hat.

Ein Idiom ist das, das nicht davor zurückschreckt, traditionelle Töne zu demolieren. Daß der Schlacks mit dem schlechten Haarschnitt trotzdem als veritabler Popstar durchgeht, macht ihn zum Phänomen. Natürlich spielt Nick Cave am Montag vor dem gesetzten und zum Teil sitzenden Publikum des WestPort-Festivals seine romantischen Mörderballaden, die inzwischen ja bei jedem Candlelight-Dinner zum guten Ton gehören. Aber wie er sie spielt, das verdient Respekt.

Bemerkenswert, wie er da lässig im dunklen Anzug auf die Bühne des aufgeheizten WestPort-Zelts schlendert, um dann mit diesen monströsen Händen, aus denen ihm alle fressen, atonale Blues-Riffs anzuschlagen. Da hat er schon gewonnen und könnte sich zurücklegen. Tut er aber nicht. Statt dessen gibt Cave, der früher nur allzu gerne seinen Launen nachgab und seine Zuhörer unter Flüchen begrub, den traurigen Entertainer. Oder auch: den durchtrainierten Tragöden. Und der bringt noch die düstersten Szenen seiner Nacht-Poesie mit sportivem Eifer zur Aufführung. Abgeklärt, aber nicht abgefeimt.

Daß sich das alles so gut anfühlt, ist natürlich auch den exzellenten Begleitmusikern zu verdanken – die der Australier diesmal nicht aus seinem Stammensemble The Bad Seeds rekrutiert hat. Susan Stenger, die den Bass spielt, kennen wir schon von John Cale. Warren Ellis und Jim White sind zwei Drittel der göttlichen Dirty Three – und wahre Brüder im Geiste von Cave. Also Kettenraucher, Sperrmüll-Stylisten, aufgescheuchte Barfliegen. Für den Auftritt beim WestPort machen der Teufelsgeiger und das Schlagzeugmonster Halblang. Aber das sehr inspiriert. Warren Ellis schmiegt sich in die Saiten, Jim White legt sich auf die Felle – immer sachte, immer gefühlvoll. Trotzdem hätte man es dem Publikum gegönnt mitzuerleben, was abgeht, wenn die beiden richtig loslegen. Dann nämlich wirbelt White die Sticks, von jeglicher rhythmischer Kleinkariertheit losgelöst, wie der Jazz-Schlagzeuger Elvin Jones in seinen Glanzzeiten.

Doch reden wir hier nicht vom Jazz, schließlich geht es um den WestPort. Und wie neulich schon an dieser Stelle zu lesen war: Man kann über die Veranstaltung meckern wie man will – ein unvergeßliches Erlebnis hält sie immer bereit. Diesmal war es der Auftritt von Nick Cave, der sich gegen Ende vom Flügel abwandte, um auf einem schäbigen Keyboard rumzudrücken. Ehrfurcht kennt so einer eben nicht.