Das Portrait
: Die unendliche Vorhand

■ Steffi Graf

Irgend etwas fehlte, als Steffi Graf (30) nach absolvierter Wimbledon-Fron Urlaub machte, Arme und Beine hängen ließ und über ihre Zukunft nachdachte. Nur Sonne, Meer, Faulheit, Nichtsnutz, keine Spur von jenem wohlklingenden Plop-Plop, das sonst ihr Leben bestimmt, von jenem Zerren im Rücken und Pieken in der Wade, das ihr längst zur zweiten Natur geworden ist. Das Verlangen, endlich wieder eine Grundlinie entlangzuflitzen, wurde schier übermächtig. Morgen hat die Tortur ein Ende. Steffi Graf spielt beim Schauturnier in Mahwah/ New Jersey. Wenn es Gedanken an einen sofortigen Rücktritt gegeben hat, dann waren sie nach der Tennisabstinenz wie weggeblasen. Statt dessen dementierte die Weltranglistendritte gestern die Meldung vom Vortag, am Jahresende zurückzutreten. „Falsch verstanden“ sei sie worden, noch sei „keine Entscheidung über den Zeitpunkt meines Rücktritts gefallen“.

Vorerst ist dies der Stand der Dinge: Fünf Turniere habe sie in diesem Jahr noch im Programm, darunter – so scheint es – auch die US Open. „Das Spiel macht mir immer noch Spaß“, erklärte sie, „und ich möchte auch in Zukunft regelmäßig Bälle schlagen.“ Wenn nicht mehr auf der Profi-Tour, dann eben bei Schaukämpfen, vorzugsweise in fremden Ländern.

Ein klarer Fall von fortgeschrittener Tennisabhängigkeit, der auch die Plackerei erklärt, die sie in den letzten verletzungsreichen Jahren auf sich nahm, um noch mal die Position zu ergattern, in der sie sich jetzt befindet: ehrwürdige Mutter des Tenniszirkus und rasende Vorhandfurie zugleich, Idol und Herausforderin der nachfolgenden Teenie-Generation, die „Tennisgöttin“ schlechthin, wie sie John McEnroe nannte, bevor sie sich rüde aus dem gemeinsamen Mixed verabschiedete. „Das Ganze war schon eine gewisse Qual“, faßt Manager Hans Engert die Mühen des Comebacks zusammen.

Es ist unschwer vorauszusehen, daß es Steffi Graf ergehen wird wie McEnroe, Jimmy Connors oder Björn Borg, die nicht von Spiel und Ruhm lassen können und mit ihrer Oldie-Tour der „Halbtoten“ (B. Becker) durch die Lande ziehen. Als sie in Mahwah gefragt wurde, was sie mit ihrem Leben anfangen wolle, wenn sie denn wirklich endlich mal zurückgetreten sei, schnappte Graf zurück: „Ich werde endlich ein Leben haben.“ Kein Zweifel, woraus es bestehen wird. Wenn Boris Becker längst vergessen hat, wie ein Tennisschläger aussieht, wird Steffi Graf immer noch irgendwo in Burundi oder Aserbeidschan über die Plätze fegen und den Leuten zeigen, was eine Vorhand ist.

Matti Lieske