Gefährliche Wahrheiten

Die Zeitung „Salam“, die im Iran die heftigsten Proteste seit der Islamischen Revolution auslöste, wurde den Konserativen zu heiß. Sie deckte zuviel auf  ■ Von Thomas Dreger

Einst führte er iranische Studenten an. Zuerst auf die Straße und dann in die US-amerikanische Botschaft in Teheran. 444 Tage mußte das Personal anschließend in Geiselhaft verbringen. Das war 1979 nach der Islamischen Revolution. Inzwischen hat Abbas Abdi seinen Frieden mit dem „Großen Satan“ Amerika gemacht. Vor einem Jahr traf er sich sogar in Paris mit dem früheren US-Presseattaché im Iran – einer seiner ehemaligen Geiseln. Heute ist Abdi Chefredakteur der linksislamistischen Tageszeitung Salam. Und wieder sorgt er dafür, daß iranische Studenten auf die Straßen gehen.

Am vergangenen Mittwoch schloß die iranische Justiz das Blatt. Am Nachmittag desselben Tages begannen die ersten studentischen Proteste für die Pressefreiheit. Und am Abend kam es in einem Studentenwohnheim zu Schlägereien zwischen reformorientierten Hochschülern und „Anhängern der Partei Gottes“, selbsternannten Schlägertrupps, die die reine Lehre der Islamischen Republik mit Knüppeln und Stahlstangen erhalten wollten.

Als sich die Stundenten in ihrem Domizil verschanzten, setzte die inzwischen eingetroffene Polizei zum Sturm an. Bilanz: mindestens ein Toter – Studenten sprechen sogar von fünf bis sechs – und zahlreiche Verletzte.

Der Kampf für die Pressefreiheit ist im Iran ein Synonym für den Kampf um Reform. Seit dem Amtsantritt von Präsident Mohammad Chatami vor zwei Jahren vergab das für die Presse zuständige Ministerium für Religiöse Führung und Kultur weit über hundert Lizenzen für neue Publikationen. Die meisten von ihnen stehen dem Reformlager nahe und vermitteln den der drögen staatlichen Medien überdrüssigen iranischen BürgerInnen endlich das Gefühl von Meinungsfreiheit.

Entsprechend groß ist der Groll von Präsident Chatamis konservativen Widersachern auf diese Presselandschaft. Immer wieder versuchen sie durch Verbote und Verhaftungen von Redakteuren diese Stimmen mundtot zu machen.

Chefredakteur Abbas Abdi hatte nun in der Salam einen Plan zur massiven Einschränkung der Pressefreiheit aufgedeckt, der zudem einen Einblick in die Untiefen des iranischen Geheimdienstes gibt. Abdi zitiert aus einem Papier, in dem die unabhängige Presse und die iranische Intellektuellenszene als „große Bedrohung für die Sicherheit des Staates“ bezeichnet werden. Als Gegenmittel empfiehlt der Autor des Plans die Rücknahme der von Chatami eingeführten Freiheiten.

Die Veröffentlichung kam zu einem Zeitpunkt, als im iranischen Parlament der Entwurf eines Pressegesetzes diskutiert wurde. Die konservative Mehrheit im Parlament segnete die Neuregelung, die von konservativen Abgeordneten entworfen worden sein soll, in der vergangenen Woche ab.

Zum Grauen der meisten Journalisten sieht es vor, daß in bestimmten Presseangelegenheiten nicht mehr das ohnehin berüchtigte Pressegericht zuständig ist, sondern das noch üblere Revolutionsgericht.

Abdi enthüllte auch, wer für das Papier verantworlich ist: Said Emami, eine der schillerndsten Figuren des iranischen Geheimdienstes, der inzwischen unter mysteriösen Umständen verschieden ist.

Am 20. Juni nannte der Chef der iranischen Militärjustiz darüber hinaus erstmals die Namen einiger mutmaßlicher Drahtzieher der Serie von Morden an Intellektuellen Ende vergangenen Jahres. Damals waren binnen drei Wochen vier Dissidenten getötet worden.

Wenig später teilte das für den Geheimdienst zuständige Informationsministerium mit, man habe im eigenen Haus einen Veschwörerring aufgedeckt, der für die Morde verantwortlich sei. Der zuständige Minister mußte gehen.

In der Folgezeit hüllten sich die Ermittler über fünf Monate in Schweigen, um schließlich eine Geschichte zu päsentieren, die im Iran niemand glaubt: Der Haupttäter hieße Said Emami, habe ein umfassendes Geständnis abgelegt und anschließend im Gefängnis – trotz strenger Bewachung – Selbstmord begangen. Und zwar beim Baden durch die Einnahme von Haarentfernungsmittel.

Die iranischen Behörden bemühten sich, den Fall herunterzuspielen. Emami sei nur ein kleines Licht im Geheimdienst gewesen und längst entlassen. Wahrscheinlich habe er aber Kontakte zu zionistischen Spionen. Diese „Enthüllung“ hinderte 400 Menschen nicht daran, zu Emamis Begräbnis auf einem Märtyrerfriedhof zu erscheinen, unter ihnen zahlreiche Geheimdienstler und prominente Vertreter des konservativen Klerus.

Salam erklärte den Aufmarsch der Prominenz so: Emami hatte es einst bis zum stellvertrenden Geheimdienstminister gebracht. Und zwar unter Ali Fallahian, jenem nach Präsident Chatamis Wahl abgesetzten Geheimdienstchef, den das Berliner Kammergericht zum Auftraggeber des Mykonos-Attentats erklärte – dem Mord an vier oppostionellen iranischen Kurden 1992 in Berlin.

Salam wußte auch zu berichten, daß Emami für die Observierung und gegebenenfalls Beseitigungmißliebiger Intellektueller zuständig war; vermutlich also auch für frühere Intellektuellenmorde und die Verschleppung des inzwischen in Deutschland lebenden Schriftstellers Faradsch Sarkuhi.

Mit derartigen Informationen versorgt, glaubt in Teheran kaum noch jemand an einen Selbstmord. Die Spekulationen um den Verbleib des Geheimdienstlers dekken eine breites Spektrum ab: Emami sei umgebracht worden, um ihn zum Schweigen zu bringen, sagen die einen. Das Ganze sei eine Inszenierung, um ihm einen unauffälligen Abgang ins Ausland zu ermöglichen, mutmaßen die anderen.

Als Salam dann auch noch ausgerechnet Emami als Urheber der Anti-Pressefreiheits-Kampagne ausmachte, wurde Irans Justiz die Affäre wohl zu heiß. Die Zeitung wurde geschlossen.

Einst führte der Chefredakteur der Zeitung „Salam“ die Studenten bei der Besetzung der US-Botschaft an. Nun gehen sie wieder für ihn auf die Straße.