Irans Studenten gehen auf die Barrikaden

■  Erneut protestieren Tausende Hochschüler und Bürger für die Fortsetzung des Reformkurses von Präsident Mohammad Chatami. Schüsse und Tränengas in Teheran. Auch in 13 weiteren Städten wird demonstriert

Berlin (taz) – Irans Studenten scheren sich nicht mehr um Verbote. Entgegen einer Anweisung des Gouverneurs von Teheran demonstrierten auch gestern Tausende in der Hauptstadt der Islamischen Republik. Ein Symbol des religiösen Establishments ging dabei in Flammen auf: die Kanzel des zentralen Gebetsplatzes der Teheraner Universität. Üblicherweise findet hier das Freitagsgebet statt – ein Ritual, das weniger Studenten anzieht als Kleriker und Politiker. An der Uni findet es statt, weil sich hier viele Menschen versammeln lassen.

Später brannte vor dem Universitätsgelände auch ein Kleinbus. Studenten errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen und Obstkisten. In anderen Stadtteilen kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. Auch hier gingen Autos in Flammen auf. In Zivil gekleidete Beamte feuerten in die Luft, um die Protestierenden auseinanderzutreiben, unter ihnen auch immer mehr einfache Bürger.

Festgenommene Demonstranten wurden mit Lastkraftwagen abtransportiert. Eine Gruppe versuchte die Gittertore des Innenministeriums zu überwinden. Auch das Gebäude der konservativen Zeitung Keyhan wurde attackiert. Die Polizei verhinderte, daß es gestürmt wurde. Beobachter in Teheran sprachen von den schwersten Unruhen seit Beginn der Studentenproteste für mehr Pressefreiheit und Demokratie am vergangenen Donnerstag.

„Wir wollen keine Regierung der Gewalt, wir wollen keine Söldnerpolizei!“ skandierten Studenten vor den Toren der Universität. „Studenten, wir unterstützen euch!“ riefen Bürger der Hauptstadt und schlossen sich den Demonstranten an. Sie widersetzten sich damit einem Appell des moderaten Präsidenten Mohammad Chatami. Der hatte am Vortag die BürgerInnen zur Ruhe aufgefordert.

Laut Augenzeugenberichten zögerten die regulären Polizisten zunächst, mit Schlagstöcken und Tränengas gegen die eigenen BürgerInnen vorzugehen. Dann seien jedoch in Zivil gekleidete Männer gekommen, die in die Luft geschossen hätten. In der Stadt wurden auch bewaffnete Bassidsch gesehen – „Kriegsfreiwillige“ auf seiten der Konservativen. Irans Religiöser Führer Ajatollah Ali Chamenei erklärte die Ereignisse mit der landestypischen Verschwörungstheorie: Das Ausland sei schuld, allen voran die USA.

Unterdessen weiten sich die Unruhen auf das ganze Land aus. Der persischsprachige Dienst der BBC zählte gestern Proteste in 13 Städten. Irans reformorientierte Journalisten sagten einen für gestern geplanten Streik ab. Begründung: In Zeiten wie diesen hätten die BürgerInnen ein Recht auf unabhängige Informationen. Thomas Dreger

Tagesthema Seite 3