Juchhe oder oje?

■ Mit dem witzig inszenierten Stück „Volltreffer“ widmet sich das Theater Strahl der Sexualität – und ihren Folgen

Es kommt auf die Umstände an, ob die Verschmelzung einer Eizelle und eines Samenfadens Anlaß zu heller Freude oder zu dunkler Depression ist. Wer fünfzehn ist, noch zur Schule geht und „das erste Mal“ im ICE-Tempo mit einem schmalbrüstigen Bubi in der Badewanne seiner Eltern hinter sich gebracht hat, hält den Lackmusstreifen in den Morgenurin in der stillen Hoffnung, er möge bloß nicht rot anlaufen. Denn rot heißt schwanger, und schwanger sein möchte Jenny nicht. Oder doch? Oder besser nicht? Oder vielleicht doch ... 90 kurzweilige Minuten vergehen, an deren Ende die ZuschauerInnen nur eine Gewißheit mitnehmen: Schwanger ist Jenni tatsächlich – und einfach wird das für sie und den zukünftigen Papa Andi nicht.

Mit „Volltreffer“ widmet sich das momentan im Theater am Leibnizplatz gastierende Berliner „Theater Strahl“ der Sexualität – und ihren eher weniger erwünschten Folgen. „'Ne Woche drüber heißt noch nix“, tröstet Tina (Inka Victoria Barel) ihre Freundin Jenni (Kim Ehlers) zu Beginn über das Ausbleiben der Periode hinweg. Doch die Sorge darum, daß da statt Nix plötzlich ein Kind in ihr heranwächst, veranlaßt Jenni zu wilden Tagträumen, die in der Inszenierung von Ulla Theißen virtuos ineinander verwoben sind.

Aus vielen, auch ungewöhnlichen Perspektiven wird die Aufregung um das, was sich bei einem Glas Wein und Kerzenschein in Andis Badewanne anbahnte, in Szene gesetzt. Wir sehen „Sperm A, B, C und D“ über die Bühne und durch den ZuschauerInnenraum flitzen, die in die Welt ejakuliert wurden und sich plötzlich nicht wie sonst dem Vertrocknungstod in Andis Schlafanzug ausgesetzt sehen, sondern in der Gebärmutter einer Frau ein Ei befruchten sollen und keinen blassen Schimmer haben, wie das funktioniert. Wir sehen Jenni im Gespräch mit ihrer Mutter, bei der sie vergeblich um Verständnis fleht, und lernen den völlig überforderten Andi (André Fischer) kennen, der nur eines weiß: "Ich will nicht Vater werden.“ Wohl auch deshalb, weil sein eigener Vater (Thorsten Junge) diese Rolle alles andere als vorbildlich ausfüllt.

Plötzlich ist in Jennis Träumen die niedliche, „scheißende Heulboje“ namens Paula da, brüllt im schmucken roten Kinderwagen die Welt zusammen und veranlaßt Andi, das Lied „Alles ist voll Kinderkacke“ anzustimmen.

Auf vier Geburten, erzählt das Programmheft, kommt in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch. Und alljährlich geraten 20.000 junge Mädchen in Jennis Lage, sehen sich vor die wenig attraktive Alternative Abtreibung oder abrupter Abschied von der Jugend gestellt und können dabei nur selten auf die Unterstützung des zukünftigen Vaters zählen. Stoff für Taschentuchfilme und sozialwissenschaftliche Abhandlungen, aber nur selten für ein gutes Theaterstück. Es sei denn, das Theater Strahl versucht sich daran.

Was das Quartett leistet, ist mit hemmungslosem Lob nur ungenügend gewürdigt. Unter fast vollständigem Verzicht auf Requisiten oder aufwendiges Bühnenbild vertrauen die SchauspielerInnen voll und ganz ihrer enormen Bühnenpräsenz sowie ihrer Fähigkeit, „das, was Sache ist“, in eine Sprache zu kleiden, die sich im Jargon der jugendlichen ProtagonistInnen bewegt. Ohne jemals peinlich zu werden.

„Volltreffer“ ist keine in Szene gesetzte sexualkundliche Lehrstunde, sondern die witzige und realistische Geschichte zweier Menschen, die abrupt an die Schwelle zum Erwachsenensein gestoßen wurden und nun zusehen müssen, daß sie Land gewinnen. Daß es dem Theater Strahl in seiner Inszenierung gelingt, das weder moralinsauer noch gähnend langweilig zu präsentieren, bestätigte auch die gemeinhin äußerst kritische U18-Fraktion im übervollen Theater am Leibnizplatz, die ohne Ausnahme anerkennend die Hände gegeneinander schlug. Zu Recht.

Franco Zotta

Aufführungen im Theater am Leibnizplatz: Heute und morgen, 10.30 Uhr. Karten unter Tel.: 500 333