Weiße Bilder als schwuler Stil

■ Eine Lektion von Jonathan Katz über die Stille bei Cage und Rauschenberg

Wenn eine Schwulen-und-Lesben-Gruppe der Humboldt-Universität einen amerikanischen Geisteswissenschaftler einlädt, einen Vortrag zu halten, dann kann man sich zweier Dinge sicher sein. Erstens ist es natürlich eine Flirtveranstaltung; zweitens: der Redner entpuppt sich im Laufe des Vortrags als Missionar. Nicht durch das, was er sagt, sondern allein durch die überdeutliche Rhetorik seiner Rede.

Geladen war Jonathan Katz, der sich als Dekan der „queer studies“ am City College von San Francisco vorstellt. Sein Thema ist die Kunst der Stille in der Zeit des Kalten Kriegs, namentlich die Werkgruppe weißer Gemälde von Robert Rauschenberg und die Komposition „4'33“ von John Cage, die nur aus den Geräuschen besteht, die Zuhörer während der jeweiligen Aufführung, die es nicht gibt, verursachen.

Der Vortrag des Kunsthistorikers Katz gruppiert sich um zwei Erzählungen, die beide von Männern berichten, die früh geheiratet haben und entdecken, daß sie homosexuell sind. Die spätere Geschichte kommt zuerst: John Cage, der als Student am Black Mountain College in einem See badet und nur durch zärtliche Rufe des Malers Cy Twombly ans Ufer gelockt werden kann: Eine Anekdote, die in einem Brief aus jener Zeit als Selbstmordversuch gedeutet wird. Der Student heißt Rauschenberg. Die andere Geschichte spielt 1938 und hat etwas mehr werkbiographischen Atem. Sie betrifft den Komponisten Cage, der in Seattle einen sehr jungen Tänzer namens Merce Cunningham trifft, mit dem er kurz darauf in New York siedelt.

Die Komposition „Gefährliche Nacht“, sechs Jahre später, handelt von den Schmerzen einer Ehescheidung; sagt Katz. Cage wendet sich sodann der Psychoanalyse zu, die mit ihrer Definition von Neurose bei der schwulen Selbstfindung keine Hilfe gewesen sein kann. Dann interessiert er sich für fernöstliche Religionen, die am Ausdruck von Schmerz augenfällig desinteressiert sind. Mit Hilfe der Zen-Vorträge Suzukis an der Columbia University dringt Cage vor zur Stille als Programm. Die fünfziger Jahre, für Katz aus schwuler Sicht „wahrscheinlich die schlimmste Dekade der amerikanischen Geschichte“ – sicher? –, bieten keine Möglichkeiten für fröhliche Coming-outs. Was also, fragt er, bedeutet dann die Wahl des Schweigens als zentrales Werkmotiv? Es sei die Entscheidung der „gay men in the closet“ für eine Negation. Rauschenbergs weiße Bilder liest Jonathan Katz als Widerstand gegen die verspritzte Farbe Jackson Pollocks.

Die pathetisch stillen Bilder werfen die Frage auf, „was gesagt wird und was nicht gesagt wird“, und stellten somit – ein kühner Schluß – die Autorschaft des Malers in den Mittelpunkt. Die Stille sei „ein gegenläufiger Modus, der sich weigert, seinen Standpunkt als Opposition auszudrücken“. Letztlich sei diese Haltung ironisch, was gern übersehen würde.

Während er diese Deutung – die Rhetorik der Differenz – in geübten Nuancen durchspielt, schießt er sich gegen Ende des Vortrags auf eine politische Äußerung Cages ein, die offene Opposition als Teil eines eingeübten Spiels von Herrschaft negiert.

Überraschend ist, daß Katz die Gültigkeit dessen nicht relativiert. Es ist doch eine sehr grobe Theorie. Ein schönes Bonmot liefert der Referent in der anschließenden Fragestunde, als er sagt, daß das Leben von „straight artists“ der Stoff von Biographien sei, während das Leben schwuler Künstler nur gut sei für Tratsch. Sehr bewußt durchbricht Katz die Barriere. Etwas plump ist vielleicht seine Annahme, daß metaphysische Krisen von Homosexuellen notwendig eine Folge gesellschaftlicher Diskriminierung wären. Mit gelegentlich kippender Stimme, aber nicht ohne polemischen Witz betrieb Katz das Outing einer intellektuellen Szene, deren Entscheidung für die Stille bisher wörtlich genommen worden ist. Schwach fiel nur das Gegenbild aus, die sogenannte Folie, auf der wichtige Maler der fünfziger Jahre ohne viel Federlesens der Verleugnungsgesellschaft des Kalten Krieges zugeschlagen wurden, nur weil sie hetero waren.

Was machen wir mit dem weißen Werk Robert Rymans? Was mit dem Selbstmord Mark Rothkos? (Mit den Beatniks, den Rock 'n' Rollern?) Insofern dreht Katz das Motiv um, das er der „Mehrheit“ der fünfziger Jahre unterstellt: Er definiert sie als Block, gegen den er die Andersheit (otherness) einer homosexuellen Ästhetik behaupten kann. Ein bißchen Paranoia bringt einen eben auf Ideen. Ulf Erdmann Ziegler