Massage gefällig?

■  Die 50. Internationalen Kurzfilmtage im italienischen Kurort Montecatini gingen an den etwas Einheimischen vorbei

Montecatini Terme – hier wurde Leonardo da Vinci geboren, hier machte der in Cineastenkreisen weitaus bekanntere Nanni Moretti in den 60er Jahren erstmals von sich reden. Außerdem ist es ein berühmter Kurort, mit mehr als 200 Hotels. Baden-Baden auf italienisch: Lymphdrainagen, Massagen und Schlammpackungen. Aber wer wird denn Anfang Juli in der Toscana an Fango denken?

Bei 38 Grad im Schatten empfiehlt es sich schon aus pragmatischen Gründen, den Nachmittag im vollklimatisierten Kinosaal zu verbringen. Ein wenig Abwechslung? Bitte schön – aber nur in kleinen Dosen. 70 Sekunden dauert der kürzeste, 40 Minuten der längste von insgesamt 157 Filmen aus 52 Ländern, die bei den 50. Kurzfilmtagen von Montecatini zu sehen waren. Damit ist Montecatini – neben Oberhausen, Tampere und Clermont-Ferrand – nicht nur eines der ältesten, sondern auch eines der größten Kurzfilmfestivals. Im Festival-Café begegnete man Esten, Polen, Iranern, Venezolanern – nur von den Einheimischen konnte sich kaum jemand für das Festival erwärmen. Wer sich in den Altstadtgassen verlief und nach dem Weg zum Festivalkino fragte, stieß nur auf fragende, ratlose Gesichter: „Festival? Keine Ahnung.“ Aber das nächste Thermalbad sei nur zwei Minuten entfernt!

Nur selten verloren sich mehr als fünfzig Außenseiter im Cinema Imperiale, darunter einige hochdekorierte Veteranen des italienischen Neorealismus, die schon am Stock gingen.

Auch der italienische Kulturminister, der zur Abschlußfeier freundliche Grüße und Glückwünsche telegrafierte, zeigte nicht die vom Festival erhoffte Begeisterung: Er habe zwar großen Respekt für die passionierten Veranstalter, die den Kurzfilm zurück ins Kino bringen wollen, nur Geld für ein staatliches Förderprogramm – das könne er leider nicht versprechen.

Warum drehen Menschen Kurzfilme, die sich kein Mensch ansieht? Und warum sieht sich kein Mensch Kurzfilme an? Letztere Frage läßt sich schnell beantworten. Seit die Kinos davon abgekommen sind, Vorfilme zu zeigen, führt der Kurzfilm eine Nischenexistenz. Es gibt ihn nur noch auf Festivals und im Arte-Nachtprogramm zu sehen. Mit Kurzfilmen läßt sich eben kein Geld verdienen. In der Regel werden solche Filme also von jungen Regisseuren gedreht, denen das nötige Geld für einen langen Film fehlt. Folglich ist ein Kurzfilm oft eine Art Bewerbungsfilm: Seht her, was ich kann – wenn ihr mich laßt, kann ich noch mehr.

In Montecatini legt man aber Wert auf die möglichst breite Repräsentation nichtkommerziellen kurzfilmerischen Treibens: Neben dokumentarischen und experimentellen Filmen sind erstmals auch Tanzfilme und Videoclips als eigene Sparten anerkannt und mit Preisen bedacht worden. Einen besonderen Fall stellt der Animationsfilm dar. Hier gibt es tatsächlich Profis wie den Engländer Barry J. C. Purves, der schon 70 Trickfilme gedreht hat (vor allem für Channel 4) und auch in Zukunft nichts anderes machen möchte.

Katariina Lillqvist arbeitete über drei Jahre an ihrem halbstündigen Puppensozialdrama „Xenia of St. Petersburg“, das auf eine Ballade aus dem 18. Jahrhundert zurückgeht. Mit viel Liebe fürs historische Detail erzählt die 36jährige Finnin – die ihr Handwerk bei Jiri Trnka in Prag erlernte – die Geschichte eines gefallenen Edelfräuleins, das in der Gosse landet, aber am Ende als Heilige verehrt wird. Wenn echte Tränen über Holzwangen rinnen und zerzauste Suffköpfe in roh zusammengezimmerten Kaschemmen in die Saiten greifen, möchte man selber leise mitschluchzen.

In Miron Bilskis Postamt-Romanze „Briefmarken“ fällt zunächst gar nicht auf, daß er ganz ohne Dialoge auskommt. Nach weniger als einer Viertelstunde wacht man auf und fühlt sich, als hätte man eine ganze Nacht lang von Liebe, glasierten Äpfeln und weinroten Postbeamten-Pullundern geträumt.

Bei solchen kleinen Wundern stellt sich gar nicht erst die Frage, ob der Kurzfilm seinem Wesen nach ein kondensierter Langfilm ist (wie etwa Hugues Denisets „Plus fort que tout“, der beweist, daß man einen ganzen französischen Film auch in elf Minuten erzählen kann) oder eher eine Art Skizze zum großen Ölgemälde (wie Christopher Suns Hongkong-Killer-Reflexion „Forgetful Angel“).

Bilskis „Briefmarken“ wie auch Lars Damoiseaux' heiter-sadistische Studie „Die Taxifahrer“ erschöpfen sich weder in einer Pointe noch reckt sich hier die kleine Form aufdringlich ambitioniert nach dem großen Wurf. Es ist einfach so, daß Kamera, Story und Musik einen lustigen kleinen Kosmos ergeben.

Wenn man bei manchen jungen Regisseuren schon beim ersten Kurzfilm so etwas wie eine unverwechselbare Handschrift erkennt, so gilt umgekehrt auch, daß die Kurzfilme arrivierter Regisseure sofort deren Angewohnheiten verraten. Peter Greenaways Videoabstecher „M is for Man, Music und Mozart“ ist Greenaway in Reinkultur, verzwirbelt medientheoretisch, zickig anspielungsreich. Das schleppt sich so hin, bis man anfängt, den Vorführer zu verdächtigen: Womöglich hat der ja gar keinen Film eingelegt, sondern die Kulturgeschichte-CD-ROM aus dem Bertelsmann-Club.

Zum Abendessen gibts Penne mit Speck und Rucola. Der nette Herr mit dem Stock ist abgereist.

Oliver Fuchs/Axel Henrici

Ist das der Greenaway-Film oder die CD-ROM zur Kulturgeschichte aus dem Bertelsmann-Club?