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Säbelrasseln mit der Neutronenbombe

Chinas Regierung droht Taiwan nicht nur mit einem Militäreinsatz, sondern verkündet auch gleich noch die Fähigkeit zum Bau der Neutronenbombe. US-Vorwürfe der Atomspionage seien „rassistisch“  ■   Von Sven Hansen

Berlin (taz) – Die Volksrepublik China hat erstmals offiziell bekanntgegeben, daß China über das Wissen zum Bau der Neutronenbombe verfügt. Mit der gestrigen Mitteilung reagierte Chinas Regierung auf die Vorwürfe eines Untersuchungsausschusses des US-Senats vom Mai. Im sogenannten Cox-Report war der Volksrepublik umfangreiche Atomspionage in den vergangenen zwanzig Jahren vorgeworfen worden. Die Vorwürfe hatte Peking schon mehrfach dementiert.

Chinas Informationsminister Zhao Qinzhen sagte gestern, das Wettrüsten zwischen den USA und der früheren Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren habe China keine andere Wahl gelassen, als selbst sein Kernwaffenarsenal zu verbessern. Die Fähigkeiten zum Bau von Neutronenbomben und Mini-Atomwaffen hätten sich Chinas Wissenschaftler in jahrelanger Arbeit selbst angeeignet. Amerikanische Äußerungen, chinesische Wissenschaftler würden nicht über entsprechende Fähigkeiten verfügen und hätten sich das Wissen durch Spionage angeeignet, bezeichnete der Minister als „absurd und rassistisch“.

Bemerkenswert an der gestrigen Bekanntgabe ist weniger der Inhalt als das Timing. China hatte Taiwan in der jüngsten Auseinandersetzung um den Status der Insel erstmals am Vortag explizit mit militärischen Konsequenzen gedroht. Gleichzeitig ist Chinas Verhältnis zu den USA, die bei der letzten Taiwan-Krise 1996 auf seiten Taipehs gestanden hatten, auf einem Tiefpunkt. Gestern traf auch eine US-Delegation in Peking ein, die mit der chinesischen Regierung über eine Entschädigung für die Opfer des Nato-Bombenangriffes auf Chinas Botschaft in Belgrad verhandelt. Der Fehlangriff hat in China nationalistische Emotionen geschürt und im Mai zu Demonstrationen vor westlichen Botschaften geführt.

Offen blieb bei der gestrigen Erklärung, ob China bereits Neutronenwaffen produziert und stationiert hat, sie möglicherweise im Konflikt mit Taiwan auch einzusetzen gedenkt oder nur über die Fähigkeit zu ihrem Bau verfügt. Letzteres war bereits seit langem vermutet worden,da China erstmals 1988 eine mutmaßliche Neutronenbombe getestet hatte. Neutronenbomben gelten als taktische Waffen, die Menschen töten, aber Gebäude und Waffen weitgehen intakt lassen. Im Unterschied zu herkömmlichen Atomwaffen entwickeln sie nur wenig Hitze und haben nur eine schwache Druckwelle.

Daß Chinas Führung ausgerechnet jetzt die Neutronenbombe ins Spiel brachte, muß als Drohung an Taiwan und als Warnung an die USA verstanden werden. Damit die Drohung in dem Bericht des Staatsrates auch verstanden wird, veröffentlichte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua gleichzeitig noch eine knappe Meldung, in der nur auf die Fähigkeit zum Bau der Bombe hingewiesen wird.

Zeitgleich erschienen gestern in der Militärzeitung Äußerungen des Verteidigungsminister Chi Haotian, der am Vortag gesagt hatte, die Volksbefreiungsarmee sei „jederzeit bereit, die territoriale Integrität“ zu verteidigen. Diese Äußerungen sind eine Warnung an Taiwan, das von Peking als abtrünnige Provinz gesehen wird.

Taiwans Präsident Lee Tenghui hatte am Wochenende in einem Interview erstmals das Verhältnis zu China als „zwischenstaatlich“ bezeichnet und sich damit weiter von der früheren Ein-China-Politik distanziert.

Spannungen zwischen Taiwan und China hatten zuletzt im März 1996 zu chinesischen „Raketentests“ vor der Küste Taiwans geführt. Damals entsendeten die USA zwei Flugzeugträger in die Region. Pekings Drohgebärden verhalfen Taiwans Präsidenten damals zu einem grandiosen Wahlsieg. Die nächsten Wahlen in Taiwan sind im März. Es wird vermutet, daß Lees Äußerungen auch die Chancen seines Nachfolgekandidaten verbessern sollen.

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