Die Hall of Fame der Sprayer

taz-Serie „Mooslos durch den Sommer“ (Teil 2): An der Wand im Mauerpark trifft sich die Graffiti-Szene ganz Berlins. Was man braucht, sind lediglich tiefsitzende Hosen und vor allem ein paar Farbdosen. Durchschnittliche Überlebensdauer eines Graffitos: eine halbe Stunde    ■ Von Kirsten Küppers

Man muß ja nicht gleicher Meinung sein wie Max Goldt. Der rät Sozialpädagogen, sich die Jugend mal mit autoritärem Schmackes zur Brust zu nehmen, statt deren Krakeleien insiderhaft als „Tags“ und „Writings“ und Ausdrucksformen einer Generation zu bezeichnen. „Sehr geehrte Generation“, könne der Schriftsteller und Titanic-Autor da nur rufen, „ganz Europa, inklusive der Dörfer“ sei jetzt vollgesprüht, und es reiche langsam.

Die Mauer am Mauerpark ist da eher konventionell sozialpädagogisch inspiriert: Junge Sprüher sollen, so der Wunsch des Bezirksamts Prenzlauer Berg, ihre kriminellen Energiefinger von S-Bahn-Waggons und Häuserwänden lassen und sich statt dessen an der 225 Meter langen Wand austoben, der größten Fläche Berlins, auf der legal gesprüht werden darf.

Das Ergebnis gleicht dem Traum jedes linken Kunstleistungskurslehrers: Bei gutem Wetter drängeln sich bis zu 70 Jugendliche mit tiefsitzenden Hosen aus der ganzen Stadt vor dem Betonstück am ehemaligen Grenzstreifen an der Bernauer Straße und schütteln ihre Lackdosen. Vom überregionalen Sprayer-Tourismus zeugen Tags wie „Braunschweig-Style“ und „Graz in Berlin“. Kulisse für die Sprühereien bildet die zerzauste Parksenke mit ihren überquellenden Papierkörben, Grasnarben, Schaukeln und Trommelstudenten: tags wie nachts, irgendwer sprüht immer. Durchschnittliche Überlebensdauer eines Graffitos: etwa eine halbe Stunde.

Der Platz ist inzwischen eine Art Hall of Fame. Aber nur Werke bestimmter Sprayergrößen, ob gut ob schlecht, bleiben bis zu zwei Wochen, denn hier darf jeder mal. „Manche haben leider zu viele New-York-Filme gesehen. Die denken, sie leben hier im Ghetto. Wenn ihr Bild gecrossed wird, gibt's eins auf die Fresse“, erzählt Ronald, der, sooft es geht, mit Ghettoblaster, HipHop-Tape, seinem Blackbook mit Vorlagen, Lackdosen und drei Handvoll Düsen aus Hohenschönhausen anreist. Crossen – Dammbruch für die Auslöschung – heißt, irgendwer setzt einen Strich auf das Bild, was Signal für alle anderen ist, drüberzusprühen. Links ist schon ein kleines Grüppchen mit Leiter und Plastiktütenhut angerückt, um mit Alpina weiß das Fundament für ein neues Graffito zu tünchen. Nur, Fame erwirbt man sich in der Sprayergemeinde, indem man überall an „frechen Orten“ präsent ist. „Mitten in der Innenstadt, fünf Meter groß und zehn Meter lang wär cool“, finden zwei Sprayer, die aus Basel gekommen sind, um hier ein grelles Writing am Mauerpark zu sprühen.

Drei bis fünf Stunden dauert es, ein großes Graffito zu malen, und es kostet Lack im Wert von etwa 50 Mark, rechnet Anna aus Pankow. Vom Laster gefallene Farben und Beschaffungskriminalität – solche Vorwürfe seien Vorurteile, mit denen die Szene stets verteufelt werde. Die meisten finanzierten ihr Hobby durch Taschengeld und Auftragsarbeiten. So fungiert die Mauer auch als Werbetafel für die Sprayer.

Anna ist eine der ganz wenigen weiblichen Sprüherinnen. „Früher waren Frauen schnell als bitches abgestempelt, wenn sie mit Sprayern zusammen waren und selbst gesprüht haben“, meint Ronald. „Weil man gesagt hat, die sind nur mit dem zusammen, um was von den coolen Typen zu lernen. Das hat sich inzwischen geändert. Vor Frauen, die malen, hab' ich größten Respekt.“ Um das noch zu fördern, will Mint, eine der weiblichen Berliner Sprayergrößen, mehr gemeinsame Sprühaktionen mit ihren Kolleginnen starten.

Die Basler zucken zur Unterrepräsentation der Sprüherfrauen nur mit den Schultern. Das sei in der Schweiz genauso.