■ Für die Albaner ist klar: Die „Zigeuner“ haben mit den Serben gemeinsame Sache gemacht. Dafür brennen jetzt ihre Häuser. Die KFOR behauptet, es nicht verhindern zu können  Aus Kosovo Polje Thomas Schmid
: „Das war nicht unser Krieg“

Endlich ist er weg, dieser freche Zigeunerbengel mit den dreckigen Hosen und dem unverschämten Lachen, der einem jeden Morgen vor dem Hoteleingang eine Mark abknöpfte. Wer nicht löhnte, riskierte zerbogene Scheibenwischer oder einen platten Reifen. Weg ist auch sein größerer Bruder, diese Nervensäge, die es immer wieder schaffte, einem eine albanischsprachige Zeitung zu überhöhtem Preis anzudrehen, die man nicht verstand, aber doch kaufte, um endlich in Ruhe gelassen zu werden. Und weg ist auch der Vater der beiden, der Schuhputzer, der seine Dienste für 50 Dinar anbot und einen mit einem schmutzigen Schuh stehen ließ, wenn man nicht bereit war, für den zweiten noch mal 50 hinzulegen: „50 Dinar pro Schuh natürlich.“

Die Roma von Priština sind weg. Unten, am Bahndamm, da wo sie ihre elenden Behausungen hatten, brennt es heute wieder. Eine Gruppe Albaner hat sich versammelt. Ihre Gesichter strahlen Zufriedenheit aus. Einige lachen unverhohlen. Nur eine alte Frau ist besorgt. Sie sitzt auf einem Holzstuhl vor dem Haus, aus dem die Flammen züngeln und bald emporschießen werden, im Schoß einen Plastikbeutel mit den wichtigsten Medikamenten. Die Albanerin fürchtet, das Feuer könnte auf ihr Haus übergreifen.

Fünf Kilometer außerhalb der Stadt, im Dörfchen Kosovo Polje, das bis vor einem Monat noch überwiegend serbisch besiedelt war, lagern nun Tausende Roma auf dem Gelände eines heruntergekommenen Schulhauses. Sämtliche Klassenzimmer sind überbelegt mit Matratzen, in den Gängen stehen Schubkarren, Wasserflaschen, allerlei Hausrat. Dazwischen stillende Mütter, schlafende Männer, spielende Kinder.

„Mit Albanern können wir nie mehr zusammenleben“

Draußen auf dem Hof steht Zelt an Zelt. Viele aus zusammengeflickten Stoffen, andere aus Plastik, einige von irgendeiner Armee geliefert. Neben den Zelten stehen die Holzkarren und Brückenwagen, mit denen die Menschen ihre Habseligkeiten gerettet haben. Das moderne Schulhaus auf der anderen Straßenseite ist mit serbischen Flüchtlingen belegt.

„Bisher haben wir hier 5.044 Roma und Ägypter registriert“, sagt Ibrahim Hasani, der so etwas wie der Sprecher der Vertriebenen ist. „Aber wahrscheinlich sind es deutlich mehr.“ Längst nicht alle kommen ins Lehrerzimmer, um sich anzumelden. Ja, etwa die Hälfte hier seien „Ägypter“, wiederholt er, oder „Haskalije“, wie sie sich selbst nennen. Über ihre Herkunft gibt es viele Theorien und Legenden. Während die Roma aus Indien über die heutige Türkei auf den Balkan eingewandert sind, sollen die „Haskalije“ über Ägypten gekommen sein. Die einen meinen, der dortige Wesir des Osmanischen Reiches habe ihre Vorfahren vor Jahrhunderten als Bauarbeiter auf den Balkan geschickt, andere wiederum glauben, sie stammten von koptischen Christen ab, die im Rahmen der Knabenlese am Hof des Sultans zwangsislamisiert worden seien. Während die Roma ihre eigene Sprache sprechen, die sich aus dem Sanskrit entwickelt hat, und zu einem kleinen Teil dem orthodoxen Glauben anhängen, sind die „Ägypter“ alle Muslime und sprechen Albanisch.

Solche Unterschiede mögen den Ethnologen interessieren, hier spielen sie keine Rolle. Hier sind alle einfach Zigeuner. Viele waren mit den Albanern nach Makedonien geflohen – Hasani legt zum Beweis einige Flüchtlingsausweise vor, die in den dortigen Lagern ausgestellt wurden –, noch mehr aber blieben im Kosovo zurück, als die Albaner vertrieben wurden.

Daß die Roma, die Ärmsten der Armen, als erste die Häuser der geflüchteten Albaner plünderten, steht für viele der Zurückgekehrten fest. Sie hätten doch die Zigeuner vor den Serben in Schutz genommen und ihnen geholfen, behaupten die Albaner vor dem brennenden Haus am Bahndamm in Priština. Und dann hätten diese Kerle doch mit den Serben gemeinsame Sache gemacht. Die Serben sind Feinde, die Roma aber Verräter, und das ist weitaus schlimmer. Beim Feind weiß man, mit wem es man zu tun hat. Vom Verräter aber fühlt man sich enttäuscht und betrogen. Und so scheint sich in diesen Tagen die Wut der Albaner mehr gegen die Roma zu richten als gegen die Serben, von denen sie zu Hunderttausenden vertrieben wurden.

„Wir haben nicht geplündert“, behauptet Hasani, „wir sind ein friedliches Volk. Wir haben keine Armee, wollen keinen eigenen Staat, haben keine Flagge. Wir wollen nicht mal, daß unsere Kinder in unserer Sprache unterrichtet werden. Wir wollen nur, daß sie zur Schule gehen können. Das war nicht unser Krieg, mit diesem Krieg haben wir nichts zu tun. Wir wollen nur Frieden und Freiheit.“

Der frühere Gerichtsvollzieher – eine Arbeit, bei der man sich nur unbeliebt machen kann und die deshalb oft Roma überlassen wurde – ist in seinem Redefluß kaum zu bremsen. Und jetzt sind sie also hier, zu Tausenden, bereits ist das erste Baby auf dem Schulhof begraben worden, zwölf Kinder wurden hier ohne jeden medizinischen Beistand geboren, und niemand weiß, wie es weitergehen soll. „Mit den Albanern können wir nie mehr zusammenleben“, sagt Gzim Rama, der Diplomingenieur, der auf dem Schwarzmarkt in Priština Zigaretten verkaufte, weil er als Roma auf dem Arbeitsmarkt keine Chance hat. „Nach Serbien wollen wir nicht. Wir brauchen einen Korridor, um hier herauszukommen – in die Schweiz oder in den Himalaya.“ Keiner traut sich, das Schulgelände zu verlassen.

Zu Fatmir Berisha sind sie gestern gekommen. Seine 30köpfige Großfamilie lebte auf einem Anwesen in Dobraje e Madhe, einem Dorf etwa 20 Kilometer südlich von Priština. Sie waren die einzige Roma im Dorf, in dem ansonsten nur Albaner lebten. Jetzt sitzt die Familie zusammengepfercht im hintersten Klassenzimmer. „Erst wurden die Söhne meines Bruders verprügelt, dann hat man mir selbst ein Messer an den Hals gehalten“, sagt Fatmir in passablem Deutsch. „Sie drohten, uns alle umzubringen, wenn wir am nächsten Tag noch da seien.“

Fünf Jahre hat der Schlosser in Heidenheim bei Stuttgart auf dem Bau gearbeitet, bis er vor anderthalb Jahren abgeschoben wurde. Als sein Vater in Belgrad aus dem Flugzeug stieg, habe man ihm sofort Handschellen angelegt, sagt sein 14jähriger Sohn Britan. Wie sein kleinerer Bruder Artan spricht er perfekt Deutsch. Er möchte wieder in die Schule, vielleicht mal studieren. In Dobraje e Madhe, sagt er, hätten die Albaner ihnen nicht erlaubt, zur Schule zu gehen.

In der Schule von Zvecan, einem serbischen Dörfchen, sind etwa 150 Flüchtlinge untergekommen. Sie gehören zu den 7.000 Roma, die aus der nahen Industriestadt Kosovska Mitrovica vertrieben wurden, nachdem Zehntausende Albaner aus ihrem Zwangsexil in Makedonien und Albanien zurückkehrten und ihre Wohnungen ausgeräumt vorfanden. Das große Roma-Viertel liegt nun in Schutt und Asche. „Natürlich haben Zigeuner die albanischen Häuser geplündert“, meint der 21jährige Roma, der in einer Ecke eines Schulzimmers liegt und seinen Namen nicht nennen will. „Ich kann nur für meine Familie sprechen“, sagt Nizajet Bayrami, die hinzugekommen ist. „Wir haben nichts geplündert, was andere gemacht haben, darüber kann ich nichts sagen.“

Ihre Tochter Elisabeta hat gesehen, wie ein Albaner auf dem Markt von Mitrovica ihre Nähmaschine verkaufte, die Quelle all ihrer Einkünfte. Die beiden Frauen sind über die französischen Soldaten aufgebracht, die nicht eingeschritten sind, obwohl das Roma-Viertel an sieben aufeinanderfolgenden Tagen gebrandschatzt worden ist. „Wir konnten es nicht verhindern“, berichtet Philippe Tanguy, Presseoffizier der KFOR-Truppe, kurz und knapp und wenig überzeugend.

Die Roma? „Irgendwohin zu den Serben“

In Obilic, einem Ort zehn Kilometer westlich von Priština, wohnten vor dem Krieg zwei- bis dreitausend Roma und nur wenig mehr Serben. Die Albaner, hier deutlich in der Minderheit, blieben, wie sie selbst berichten, fast alle im Dorf während der Nato-Bombardements. Also gab es nichts zu plündern. Von den Roma aber ist kein einziger geblieben. „Wahrscheinlich haben sie ihre Häuser selbst angezündet“, vermutet ein Albaner in einer Straße, in der sich Ruine an Ruine reiht, und läuft weiteren Fragen davon.

In Dobraje e Madhe, einem Dorf, dessen Anwesen, wie bei den Albanern üblich, zur Straße hin durch Mauern abgeschirmt sind, weiß niemand etwas von der 30köpfigen Familie der Berisha. „Die leben wahrscheinlich in Dobraje e Vogel“, sagt der Mann im Lebensmittelladen. „Nein, hier gibt es keine Roma.“ – „Seit gestern nicht mehr?“ Schließlich gibt der Mann zu, daß die Berisha hier gewohnt haben, aber sie seien weggezogen, „bestimmt irgendwohin zu den Serben“. – „Können Sie uns dann wenigstens ihr Haus zeigen?“ – „Das steht nicht mehr.“ – „Wie bitte?“ Vor dem Lebensmittelgeschäft hat sich inzwischen ein Dutzend Männer versammelt. Die verschworene Gesellschaft mustert die Fremden. Was wollen sie hier? Was wissen sie? Schließlich sagt einer, das Haus habe Feuer gefangen. „Ach so, abgebrannt? So ein Unglück aber auch.“ – „Die Leute konnten sich alle retten“, beschwichtigt uns einer. Schließlich findet sich jemand bereit, uns zum Haus zu führen.

Das Haus der Berisha, gleich hinter dem Fußballplatz am Rande des Dorfes, ist völlig zerstört. An einigen Stellen steigt noch Rauch auf. Nichts Brauchbares mehr ist vorhanden. Einige angekokelte Klamotten, zwei Metalleimer, irgendwelche Eisenteile. Fatmir Berisha hat als Schlosser und Schweißer gearbeitet, Messer geschliffen und Kessel geflickt, und während des Ramadan hat er alltäglich beim Sonnenaufgang und beim Sonnenuntergang die Trommel gerührt. „Nein, besondere Probleme habe man mit den Roma nicht gehabt“, sagt einer in der nahen Dorfkneipe, „geklaut haben sie nicht, jedenfalls nicht hier im Dorf.“ Das Haus habe nachts um drei Uhr Feuer gefangen. – „Ist ein Blitz eingeschlagen?“ Alle sind still. – „Wer hat es angezündet?“ Die Stimmung ist feindselig. Die Männer kneten nervös ihre Hände: Sie wissen von nichts, sie waren es nicht. Drinnen aus dem Lokal kann eine Gruppe Jugendlicher ihr Lachen nur mühsam ersticken.

Alle wissen Bescheid. Keiner sagt etwas. „Ein Bruder von Fatmir Berisha hat bei der serbischen Polizei gearbeitet“, meint schließlich einer, „irgendwo in Skenderaj oder in Obilic.“ Wo genau, wissen sie nicht, aber beide Orte liegen nicht gerade in der Nachbarschaft. – „Mußten deshalb 30 Menschen vertrieben werden?“ „In unserer Gesellschaft ist es üblich, daß die Familie ihre Mitglieder kontrolliert und für sie haftet.“ – „Ach, so.“ Die Stimmung entspannt sich. „Wer hat Ihnen übrigens erzählt, daß das Haus der Berisha abgebrannt ist?“, will einer wissen.

Zurück im Schulhaus von Kosovo Polje. Fatmir Berisha sagt, einer seiner Brüder diene seit acht Jahren in Belgrad in der Armee. Daß er als Polizist im Kosovo gewesen sei, bestreitet er. Als wir ihm erzählen, daß sein Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt ist, schießen dem Rom die Tränen in die Augen.