NS-Zwangsarbeiter: Land in Sicht

■  Erste Ergebnisse bei den Verhandlungen über eine Entschädigung der Opfer. Schwerstgeschädigte sollen zuerst bedacht werden. Keine Einigung über „Rechtssicherheit“ für deutsche Firmen

Berlin (taz) – Endlich scheint etwas Wind aufzukommen bei den Verhandlungen um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter – und dies, obwohl der deutsche Verhandlungschef Bodo Hombach unterwegs verlorengegangen ist. Das Gremium der Experten aus den USA, Deutschland und Osteuropa machte Fortschritte bei der Bestimmung der Opfergruppen und der Reihenfolge der Entschädigungen. Es folgte der Anregung der Historikergruppe um Lutz Niethammer und legte fest, daß zuerst die „Schwerstgeschädigten“, die Zwangsarbeiter innerhalb von Konzentrationslagern, die Ghettoinsassen und in Arbeitserziehungslagern Eingepferchten entschädigt werden müssen, dann, als zweite Gruppe, alle übrigen Zwangsarbeiter aus dem von der Wehrmacht besetzten Osten Europas. Auch finanziell soll die erste Gruppe bessergestellt werden. Vom Tisch scheint die unglückselige Idee zu sein, durch die Abstufung der Zahlungen entsprechend dem unterschiedlichen Rentenniveau eine Zwei-Klassen-Entschädigung zwischen den in Osteuropa und den im Westen lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern zu etablieren. Hinsichtlich der Zahl der überlebenden Opfer differieren die Schätzungen nicht allzusehr. Der amerikanische Chefmoderator Stuart Eizenstat sprach von 200.000 Sklavenarbeitern und rund einer Million Zwangsarbeitern der zweiten Gruppe.

Die Zuwendung soll in Form einer einmaligen Zahlung erfolgen. Dies ist um so wichtiger, als nach Eizenstats Angaben das Durchschnittsalter der Überlebenden mittlerweile 81 Jahre erreicht hat. Ob allerdings irgendein Opfer auch nur einen Pfennig sehen wird, hängt von der baldigen Lösung des Problems der „Rechtssicherheit“, sprich des Schutzes der deutschen Firmen vor zweimaliger Zahlung (in den Industriefonds und aufgrund von Sammelklagen), ab. Hier wurde wiederum keine Lösung gefunden, allerdings erklärte Eizenstat, es läge eine Reihe „konstruktiver und kreativer Lösungen“ vor. Er hält es nicht für ausgeschlossen, daß bis zum 1. September, dem Datum des deutschen Überfalls auf Polen, eine Einigung erzielt werden wird. Volker Beck von den Bündnisgrünen äußerte sich zurückhaltender.

Wieviel Geld bislang zur Verfügung steht, gehört zu den Betriebsgeheimnissen der Stiftungsinitiative. Lanciert und prompt dementiert wurde die Summe von 1,7 Milliarden Dollar, die allerdings für die Entschädigung beider Opfergruppen äußerst mager wäre. Die bislang beteiligten 17 Firmen hoffen darauf, daß bei „hinreichender Rechtssicherheit“ sich weitere Unternehmen anschließen, die oder deren Rechtsvorgänger von Zwangsarbeit profitierten. Christian Semler

Siehe auch Bericht Seite 7