Erst ein Kran, dann eine Bahn    ■ Von Ralf Sotscheck

Vorige Woche ging es um die Verzweiflung der Iren über das Ende des zollfreien Einkaufs bei Reisen innerhalb der Europäischen Union: Der Rausch ist nur noch halb so schön, seit der Staat daran verdient, der Raucherhusten doppelt ärgerlich, seit er nicht mehr zollfrei ist.

Acht Iren hatten offenbar so starke Entzugserscheinungen, daß sie umgehend auf Abhilfe sannen. Sie mieteten bei einer Dubliner Firma einen Kran und bestellten ihn nach Drogheda nördlich von Dublin. Der Kranführer war ziemlich überrascht, als man ihm eine Pistole an den Kopf hielt und ihn zwang, das riesige Gerät nach Norden zum stillgelegten Bahnhof von Dunleer zu fahren. Dort nahmen die Krandiebe einen Strekkenarbeiter von Irish Rail gefangen und baten ihn nachdrücklich um eine Handvoll Zündkapseln. Wenn ein Zug über eine solche Kapsel fährt, explodiert sie. Das ist ein Zeichen für den Lokomotivführer, auf Schrittgeschwindigkeit herunterzugehen. Das tat er dann auch, so daß einer der Gangster auf den Güterzug aufspringen und den Lokführer sowie einen Sicherheitsbeamten überwältigen konnte, so daß der Zug stoppen mußte.

Die Diebe besaßen also einen Kran, einen Zug und einen offenen Lastwagen, den sie am Vortag geklaut hatten. Das paßte gut zusammen. Der Kranführer – solch ein Teleskopkran wird mit Hilfe von Computern gesteuert, das erfordert einen Spezialisten – mußte nun einen schweren Container vom Güterzug auf den Lastwagen umladen. Während sich sieben der Gangster mit dem Lastwagen aus dem Staub machten, blieb einer zurück, band Sicherheitsbeamten, Gleisarbeiter, Lok- und Kranführer in der Lokomotive fest und fuhr mit dem Güterzug nach Portmarnock bei Dublin. Dort parkte er den Zug und verschwand.

Irish Rail merkte erst, daß ihnen ein Zug abhanden gekommen war, nachdem sich die vier Gefangenen befreit hatten. Die Polizei traf anderthalb Stunden nach dem Zugraub im Bahnhof von Dunleer ein und stellte den Kran sicher. Immerhin, Zug und Kran waren unversehrt, und später am Abend fand man sogar den Container. Er war so gut wie leer: Am Boden lag eine Stange Zigaretten, was auf einen ausgeprägten Sinn für Humor bei den Dieben hindeutet. Sie hatten nämlich sechs Millionen Zigaretten im Gesamtwert von einer Million Pfund erbeutet, da fällt eine Stange Trinkgeld nicht weiter ins Gewicht. Die Kippen waren auf dem Weg zum Dubliner Hafen, wo sie verschifft werden sollten.

Die irischen Zeitungen konnten ihre Bewunderung für den Coup kaum verhehlen. „Erst ein Kran, dann 'ne Bahn“, titelte die Irish Times und attestierte den Räubern generalstabsmäßige Planung, während ein Boulevardblatt vom „großen Zugrauch“ schwärmte – vermutlich handelte es sich um rauchende Reporter.

Ein Sprecher der irischen Eisenbahngesellschaft bezeichnete den Zugklau dagegen als „äußerst besorgniserregende Entwicklung“. Er befürchtet wohl, daß das Beispiel Schule macht und sich die Whiskeytrinker demnächst selbst bedienen. Wie soll man da die Fahrpläne einhalten? Die Polizei hat um Mithilfe gebeten: Wer hat den Kran zwischen Drogheda und Dunleer gesehen? Oder den Container? Und wer kennt jemanden, der neuerdings Kette raucht? Ich muß mich in acht nehmen.