Desertion ist ein Weg zum Frieden

Münster und Osnabrück wollen Deserteure aus Krisengebieten aufnehmen. Doch dazu brauchen sie die Hilfe von Außenminister Joschka Fischer, da die Auslandsvertretungen keine Visa an sie verteilen    ■ Von Marcus Termeer

Münster (taz) – „Kriegsdienstverweigerung und Desertion sind legitime und probate Mittel, sich der Kriegslogik zu entziehen – sie dienen dem Frieden.“ In einem offenen Brief haben das Bündnis 8. Mai Münster, die Osnabrücker Friedensinitiative und Pax Christi Osnabrück kürzlich Bundesaußenminister Joschka Fischer dazu aufgefordert, die deutschen Auslandsvertretungen anzuweisen, Deserteuren Visa zu erteilen.

Desertion ist zwar kein Asylgrund, dennoch handelt es sich bei der Erklärung aus Münster und Osnabrück um keinen bloßen moralischen Appell. Die Gruppen können sich auf gültige Ratsbeschlüsse ihrer Städte stützen. Am 22. Mai 1996 entsprach der Rat der Stadt Münster mit rot-grüner Stimmenmehrheit einem Antrag des Bündnisses 8. Mai, einem Zusammenschluß aus Flüchtlingshilfe-, Menschenrechts- und Friedensinitiativen. Münster erklärte sich bereit, Deserteure aus Kriegsgebieten aufzunehmen und die Unterhaltskosten zu tragen.

Die rechtliche Grundlage des Beschlusses sind Paragraph 30,1 des Ausländerrechts, der die Einreise und Aufenthaltsbefugnis aus „völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“ ermöglicht. Konkret bedeutet das in Münster: Die kommunale Ausländerbehörde lädt Deserteure aus Kriegsgebieten ein, und die Stadt haftet nach Paragraph 84 des Ausländergesetzes für deren Lebensunterhalt. Juristisch heißt das „Visumsvorauszustimmung“.

Die Osnabrücker Friedensinitiative und Pax Christi nahmen sich Münster zum Vorbild und regten in ihrer Stadt zwei Jahre später eine vergleichbare Entscheidung an. Als Antrag der Grünenfraktion wurde sie am 24. März 98 im Stadtrat eingebracht und vor gut einem Jahr beschlossen. Anläßlich des Jugoslawienkrieges arbeiten die Initiativen aus beiden Städten zusammen. Sie erinnerten Parteien und Verwaltungen an die Beschlüsse und forderten sie zur Umsetzung der Ratsbeschlüsse auf.

Dies ist allerdings erst möglich, wenn die weisungsgebundenen deutschen Auslandsvertretungen aus Bonn grünes Licht erhalten. Eine Uralt-Anweisung aus den Zeiten Genschers untersagt ihnen bis heute, Asylbegehrenden und anderen Schutzsuchenden Visa auszustellen. Das könnte der jetzige Außenamtschef Joschka Fischer ändern.

Der Bundesaußenminister, so der Wunsch aus Münster und Osnabrück, soll die deutschen Auslandsvertretungen in den angrenzenden Staaten Jugoslawiens über die Aufnahmebereitschaft Osnabrücks und Münsters informieren. Und die Botschaften anweisen, bei Vorliegen von Zustimmungen der genannten Städte Visa zu erteilen. Zugleich soll Fischer sich beim Bundesinnenminister für ein Sonderkontingent zur Aufnahme von Deserteuren einsetzen.

Ende Juni hatten VertreterInnen vom Bündnis 8. Mai MünsterOberbürgermeisterin Marion Tüns (SPD) gebeten, ihre Verwaltung anzuweisen, ebenfalls die deutschen Botschaften in den Anrainerstaaten Jugoslawiens zu informieren und „in konkreten Fällen Kostenübernahmen zuzusichern und Visumsvorabzustimmungen zu erteilen“. Zudem sollte Tüns in dieser Frage mit ihrem Osnabrükker Kollegen Hans-Jürgen Fip (SPD) zusammenarbeiten. Dieser wurde von der Osnabrücker Friedensinitiative schon im April 99 brieflich zur Kontaktaufnahme mit Münster aufgefordert. Bisher ohne Reaktion. Zumindest Marion Tüns sagte zu, sich an Fip und und Fischer zu wenden. Schon kurz nach dem Münsteraner Deserteursbeschluß aus dem Jahr 1996 hätte sie das Außenministerium in Bonn informieren lassen, ohne allerdings eine Antwort zu erhalten.

Das Ende des Krieges im Kosovo und der Bundesrepublik Jugoslawien ist nicht das Ende der Gefährdung von Deserteuren aus allen Volksgruppen. Weiterhin drohen ihnen Sanktionen bis hin zur Todestrafe. Kontakte zu Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, so die Initiatoren der Initiative, bestünden über befreundete Organisationen. „Die Städte Münster und Osnabrück haben einen Anfang gemacht“, heißt es beim Bündnis 8. Mai. Notwendig sei der Aufbau eines Netzes aus vielen Städten. Und vergessen werden dürfe nicht, „daß es Kriege und Menschen, die sich dem widersetzen, weltweit und zu jeder Zeit gibt“.