■ Algerien: Bouteflika kündigt Wiederzulassung der FIS an
: Keine Atempause

Präsident Bouteflika gönnt sich und Algerien keine Atempause. Nach der Begnadigung von 2.400 islamistischen Gefangenen und der Verabschiedung eines Gesetzes zur zivilen Eintracht kündigte er jetzt die Wiederzulassung der seit 1992 verbotenen Islamische Heilsfront (FIS) an. Dabei bedient sich Bouteflika der türkischen Formel. Er bietet den Islamisten an, eine neue Partei ohne ihre historischen Führer gründen zu können.

Ein geschickter Schachzug: Zum einen geht er das Problem des seit nunmehr sieben Jahren andauernden Konfliktes mit über 120.000 Toten an der Wurzel an. Bouteflika macht den Schritt rückgängig, der einst zur Machtprobe zwischen der Armee und den an den Wahlurnen siegreichen Islamisten führte. Das verschafft ihm einen Vertrauensvorschuß.

Zum anderen bringt der Präsident mit seiner Entscheidung, die historischen Führer mit einem Politikverbot zu belegen, die FIS in Zugzwang. Sieben Jahre im Untergrund haben ihre Spuren hinterlassen. Die Partei war nie ein einheitlicher Block. Doch heute zerfällt sie mehr denn je in verschiedene Strömungen. Historische Parteiführer wie Abassi Madani, Ali Benhadj oder Abdelkader Hachani täten bitter not, um aus der FIS wieder eine starke Partei zu machen. Genau das wird nicht möglich sein.

Eine neue, wiederzugelassene FIS hat zudem Konkurrenten beim Werben um das islamistische Wählerpotential bekommen, die sie 1990 bis 1992 nicht kannte: zum einen die an der Regierung beteiligte MSP-Hamas und zum anderen die vom Präsidentschaftskandidaten Taleb Ibrahimi gegründete Wafa. Noch ist diese Partei nur ein Projekt auf dem Papier. Doch der FLN-Aussteiger Taleb Ibrahimi übt als Sohn eines islamischen Gelehrten und Nationalisten eine große Anziehungskraft nicht nur auf die Wähler, sondern auch auf den Mittelbau der verbotenen FIS aus. Eine einzelne islamische Partei, selbst wenn sie FIS heißt, wird somit nicht mehr in der Lage sein, Wahlen im Alleingang zu gewinnen.

Und ein weiteres As hat Präsident Bouteflika im Ärmel. Er kann das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Das wird er demnächst tun. Dabei wird er die Konjunktur des für September erwarteten Referendums über das Gesetz der zivilen Eintracht nutzen. Diese Volksabstimmung wird Bouteflika vor allem bei islamistischen Algeriern beliebt machen. Der Urnengang – entscheidend für die Befriedung und die Sanierung des Landes – wird somit anders als 1992 keine Protestwahl sein. Reiner Wandler