Der Osten ist sexy

■ Zum vorletzten Mal in Hamburg: Am 20. eröffnet das Internationale Sommertheater Festival auf Kampnagel

„Wo ist Osten?“ – das Motto des Festivals hat Geschichte, denn bei den vorhergehenden 15 Happenings dieser Art wurden die Veranstalter oftmals mit dem politisch korrekten Anliegen „Warum legt Ihr den Schwerpunkt nicht mal auf Osteuropa?“ konfrontiert. Nun, wo der künstlerische Osten den Hamburger Spättheatersommer dominieren wird, liegt doch manchem die Frage auf der Zunge „Warum denn gerade Osteuropa?“. Dahinter steht sicherlich der Gedanke, daß man mit Bulgarien, Georgien, Polen, Rumänien, Rußland, Ungarn, der Ukraine, Tschechien, Slowenien und den Baltischen Ländern nicht unbedingt „sexy“ Bühnenkunst assoziiert, wie es Festivalleiterin Gabriele Naumann bei der gestrigen Pressekonferenz formulierte. Dieter Jaenicke, ihr Counterpart in der Leitung, stellte bei seiner zweijährigen Recherche für die Auswahl allerdings fest, daß auch diverse andere Organisationen – wie die Berliner Festspiele oder das Festival Aarhus – ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Systeme Osteuropas zeigen wollen, was deren Bühnennachwuchs zur Zeit bewegt.

Zum Festivalauftakt am 20. August führt der ungarische Visionär Josef Nadj in ein poetisches Labyrinth, das durch seine Bilderwelt an Kafka und Borges zugleich erinnert. Das Sfumato-Theaterlaboratorium aus Sofia untersucht dagegen mit fast wissenschaftlichem Eifer alte Dokumente und Überlieferungen bulgarischer Häretiker und kommt damit zu einem ganz eigenartigen künstlerischen Statement. Peeter Jalakas bringt Computeranimationen, eine estländische Volkstanzgruppe, eine gespielte Hochzeit und einen Crashkurs über die Geschichte Estlands in einem Theaterstück auf die Bühne. Der russische Choreograph Sasha Pepelyaev verwendet ebenso wie die Regisseurin Henrietta Janowskaya klassische Spitzen des russischen Theaters und Balletts, um zeitgenössisches Tanztheater zu machen. Die junge Bulgarin Lilia Abadjieva dagegen seziert Shakespeares Hamlet ohne Respekt für Geschichte und Original – so wie sich der Ungar László Hudi mit seiner Compagnie durch originaluntreue Beckett-Zitate singt. Ein Kontrast-Programm soll in Vorträgen und Publikumsgesprächen auch die politische Dimension des Festivals erschließen. „Dirty Balkan“ nennt die Gruppe Batterie: Kongress beispielsweise ihre Nachrichtenlounge mit Internet, Kochplatten und Turntables, in der Besucher einen inoffiziellen Blick auf die Aktivitäten im ehemaligen Jugoslawien werfen können.

Die Vielfalt im Programm animierte die Alfred Toepfer Stiftung dazu, 600.000 Mark zuzusteuern, um das Gesamtbudget auf 2,4 Millionen aufzustocken. Ein Glück, denn mit der Aussicht, daß das Internationale Sommertheater Festival nur noch ein weiteres Mal stattfinden wird, wurde die Finanzierung zum Hindernislauf. Die Veranstalter haben allerdings alle Hürden überwunden, um an 19 Sommertagen zu beweisen, daß hinter dem Eiseren Vorhang nicht nur Mafia und Mädchenhandel steckt.

Stefanie Heim

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