■ Die „neue Wirtschaftspolitik“ Müllers ist längst beschlossen
: Müller ist Schröder

Selbständiger und eigenverantwortlicher soll der einzelne werden, aktivierender der Staat, zurückhaltender die Lohnpolitik und flexibler der Markt. Das sind die Reizworte aus dem Wirtschaftsbericht '99, in dem Bundeswirtschaftsminister Werner Müller seine wirtschaftspolitischen Leitlinien „gedanklich formuliert“ hat. Bekannte Reizworte aus dem Repertoire von Schröder, Hombach und Blair, die gängige Modernisierungsrhetorik, die in dieser Verkürzung genausogut von Arbeitgeberfunktionären stammen könnte. Müllers liberaler Vorgänger Günter Rexrodt hat bereits das Copyright angemeldet.

Entsprechend bekannt erscheinen die Reaktionen, die bereits Tage vor der Veröffentlichung des Berichts in den Medien plaziert wurden: aufmunternde Rufe bei den Wirtschaftsverbänden, Empörung bei den Gewerkschaften, die nur „Lohnmäßigung“ heraushören, eine kurze öffentliche Diskussion, ob es allen besser geht, wenn alle den Gürtel enger schnallen. Und vorsichtige Zustimmung bei der bürgerlichen Presse: Lassen wir ihn doch erst einmal machen. Irgendwas muß schließlich passieren.

Alles nur Ritual, Symbolik, langweilig? Genau darin liegt die Gefahr: Die Rezeption ist noch vager und oberflächlicher als der Bericht selbst.

So leicht aber kann man Müller nicht davonkommen lassen. Soll er doch erst einmal erklären, wieso er, wenn er dem Anspruch der Politik, wirtschaftspolitisch zu gestalten, eine Absage erteilt, trotzdem meint, Werte wie Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität garantieren zu können. Oder wie er das machen will, daß geringere soziale Leistungen, weniger Umverteilung, sinkende staatliche Investitionen und der tausendfache Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst zu neuen Stellen führen und nicht zu einer Ausgrenzung von Menschen in sozialen Risikolagen und repressiven Arbeitszwang. Und er muß auch sagen, was er meint, wenn er einen nach Regionen und Qualifikationen differenzierten Lohn fordert, eine Berücksichtigung der „jeweiligen Lage am Arbeitsmarkt“: Denn damit fordert er viel mehr als nur bescheidene Lohnabschlüsse, er will den Flächentarif abschaffen – trotz aller Öffnungen, die dieser in den letzten Jahren bereits erfahren hat. Nur: Wer stellt Müller diese Fragen? Er ist parteilos – die Konfrontation mit der Basis droht ihm nicht. Die rot-grüne Koalition? Die ist spätestens seit Lafontaines Abgang auf dem gleichen Trip – auch Schröder ist ein Müller. Und die Unions-Opposition hat dieses Konzept selbst schon verfolgt. Beate Willms