„Die SPD wird zur 30-Prozent-Partei“

■ Der Juso-Vorsitzende Benjamin Mikfeld sieht seine Partei nach rechts driften und warnt vor einer Preisgabe sozialdemokratischer Identität

taz: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat angekündigt, die jüngere Generation stärker einbinden zu wollen. Sie sind schon seit Mai im Amt und haben bisher nicht einmal einen Termin bei Schröder bekommen. Ärgert sie das?

Benjamin Mikfeld: Es ärgert mich, daß sich Schröder an dem Spiel „Schlechte Jugend – gute Jugend“ beteiligt. Er hat ein falsches Bild von den Jusos. Ich würde ihn gerne vom Gegenteil überzeugen. Auch wir haben innovative Ideen. Deshalb halte ich ein Gespräch mit ihm für dringend erforderlich.

Gerade hat Schröder den erst 33jährigen Hans Martin Bury zum Staatsminister im Kanzleramt berufen. Er gehört eher zur „guten Jugend“, nämlich zum rechten Flügel. Befürworten Sie seine Berufung dennoch?

Ich finde es richtig, daß jüngere Menschen bei Schröder eine Chance bekommen, aber jung zu sein allein ist kein Verdienst. Wir haben in der SPD unterschiedliche Richtungen, und die finden sich in allen Generationen. Insofern freue ich mich über die Unterstützung für Hans Martin Bury. Aber er steht halt auf der anderen Seite.

Teile des rechten Flügels der jüngeren SPD-Bundestagsabgeordneten, die selbsternannten „Youngster“, haben ein Papier mit ihren Forderungen veröffentlicht. Wo bleibt denn das Papier der Jusos und der jungen Linken?

Zunächst einmal müssen wir das Ping-Pong-Spiel, das uns die Grünen vorgemacht haben, nicht imitieren. Wir Jusos haben unseren Zeitplan festgesteckt. Wir werden im September mit Blick auf den Parteitag im Dezember ein Papier vorlegen. Wir lassen uns durch keine Provokation aus der Ruhe bringen.

Fühlen Sie sich denn von den schweigenden linken Abgeordneten im Bundestag überhaupt noch vertreten?

Es gibt eine Reihe jüngerer Abgeordneter, die nach wie vor für linke Politik stehen. Und mit denen wollen wir eng zusammenarbeiten – in der Gegenwart und auch in der Zukunft.

Welche Themen haben bei den Youngsters oder auch im Schröder-Blair-Papier Ihrer Ansicht nach zuwenig Gewicht?

Es geht nicht um Themen, es geht um die politische Stoßrichtung. Sowohl im Schröder-Blair-Papier als auch von den Youngsters wird eine politische Richtung vertreten, die das Ergebnis konservativer Politik der letzten Jahrzehnte ist. Wenn die Linke die Frage der Verteilung von Macht und Reichtum nicht mehr thematisiert, dann exekutiert sie letztendlich konservative Politik. Die Frage ist, wie die Mittel für Innovation, Wachstum und mehr Beschäftigung mobilisiert werden können. Über den Markt allein funktioniert das nicht.

Welche Alternativen schlagen Sie vor?

Aktuell machen wir unter der Überschrift „Politikwechsel geht anders“ eine Kampagne, in der wir für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer plädieren. Das Geld wollen wir für einen Fonds „Innovation und Beschäftigung“ verwenden. Es soll also nicht einfach in den Staatshaushalt fließen, sondern für Investitionen in Infrastruktur und Beschäftigungsprojekte verwendet werden.

In der SPD hat eine Debatte begonnen, das Grundsatzprogramm von 1989 durch ein neues zu ersetzen. Halten Sie das für notwendig?

Wir warnen davor, daß die Linke jetzt in die Falle tappt, nur über Programme zu diskutieren und die Politik den konservativen Kräften in der SPD zu überlassen. Man muß Grundsatzprogramme nicht alle zehn Jahre verändern. Darin stehen eine Menge richtiger Dinge. Erforderlich ist jedoch eine Verständigung über die mittelfristigen Leitlinien sozialdemokratischer Politik. Wo will eine SPD-Regierung im Jahre 2006 stehen? Wir wollen, daß der nächste Parteitag einen öffentlichen Diskussionsprozeß unter der Überschrift „Perspektiven 2006“ einleitet.

Sehen Sie die Gefahr, daß sich die SPD von der Neuen Mitte weiter nach rechts bewegt?

Ich glaube, daß sich die SPD dem hohen Risiko aussetzt, den Spannungsbogen zu zerschneiden, den sie mit unterschiedlichen Positionen und politischen Milieus immer gezogen hat. Letztlich wird sie auf diese Weise eine 30-Prozent-Partei. Was Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder im Wahlkampf noch überbrückt hatten, ist nun auseinandergefallen. Ich sehe nicht, daß Gerhard Schröder die Bindewirkung des Duos jetzt über seine Person entfalten kann.

Gibt es angesichts dieser Entwicklung für Linke wie Sie noch eine Zukunft in der Partei?

Selbstverständlich. Wir habengerade eine Modediskussion über die neue Generation und Modernisierung. Ich bin mir sicher, daß in absehbarer Zeit auch wieder eine Diskussion darüber stattfindet, was sozialdemokratische Politik eigentlich ausmachen muß und was gegenwärtig alles fehlt. Dann wird es auch wieder gelingen, andere Stimmen in der Politik der SPD zu verankern.

Interview: Jutta Wagemann