„Wir wollen ein multiethnisches Kosovo“

■ Interview mit Hashim Thaci, Chef der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UÇK. Er unterzeichnete den Vertrag von Rambouillet und gilt derzeit als der populärste Politiker im Kosovo

taz: Sie sind Ministerpräsident eines Landes, das faktisch ein Protektorat ist, ihre Armee, die UCK, wird entwaffnet. Sie selbst traten vor wenigen Tagen dem Übergangsrat bei, den der UN-Administrator Bernhard Kouchner gebildet hat. Wäre es da nicht Zeit, Ihre Regierung aufzulösen und gemeinsam mit der UN-Mission und der serbischen Minderheit neue politische Strukturen aufzubauen?

Hashim Thaci: Nein, wir arbeiten mit der KFOR zusammen, wir werden mit der UNMIK (UN-Mission fürs Kosovo) zusammenarbeiten. Wir verstehen uns nicht als Konkurrenten. Der Übergangsrat ist ein wichtiges Organ für die Zukunft des Kosovo, aber auch unsere Regierung ist sehr wichtig.

Welche Aufgaben soll der Übergangsrat übernehmen?

Er soll die Versorgung der Flüchtlinge sicherstellen, die Rückkehr an ihre angestammten Orte ermöglichen, ihre Reintegration in die zivile Gesellschaft fördern, und das ist – ich betone es – eine multiethnische, multikulturelle Gesellschaft.

Nun hat sich ja die LDK, die Partei Rugovas, die traditionell stärkste Partei, geweigert, Ihrer Regierung beizutreten, und sie ist auch dem Übergangsrat nicht beigetreten, weil sie sich mit nur zwei Sitzen – so viel wie die UCK hat – nicht zufriedengeben will.

Das ist schade. Die LDK boykottiert uns als politischen Faktor, und sie boykottiert die internationale Gemeinschaft. Wir brauchen Zusammenarbeit, um zu einer neuen Ära im Kosovo zu kommen. Ich hoffe, daß Rugova, der offenbar lieber im Ausland lebt, ins Kosovo zurückkommt.

Zur Zeit werden die Roma zu Tausenden vertrieben, ihre Häuser werden abgebrannt. Weshalb hat die UCK nicht verhindert, daß die Albaner nun ihrerseits andere Menschen vertreiben?

Es darf nicht akzeptiert werden, daß die Häuser anderer Leute angezündet werden. Es muß Sicherheit für alle geben.

Gibt es aber nicht. Weshalb sind Sie als Ministerpräsident, als Chef der UCK, die ja bei den Albanern sehr populär ist, nicht nach Mitrovica gegangen, wo nach und nach das ganze Roma-Viertel abgebrannt wurde, und haben den Leuten gesagt: „Hört auf! Ich verbiete euch das!“ Hatten Sie Angst, etwas Unpopuläres zu machen?

Ich war in Mitrovica und habe mit den Leuten geredet. Es hätte nicht passieren dürfen. Wir müssen so was in Zukunft verhindern. Auch in Mitrovica wird sich das Leben normalisieren.

Ich war vorgestern in Prizren, da habe ich einen Albaner namens Mustafa Gashi getroffen, vermutlich ein Polizist in serbischen Diensten, den hat die UCK offensichtlich gefoltert. Ziehen Sie Ihre Männer, auch Folterer, zur Rechenschaft?

Ich kenne den Fall nicht, aber da sind die Gerichte zuständig, die ja eingerichtet werden.

Die UCK ist ja sehr populär im Kosovo. Jetzt muß sie die Waffen abgeben. Was aber ist eine Armee ohne Waffen. Wollen Sie aus der UCK eine Partei formen?

Die UCK wird zwar demilitarisiert, wir denken aber, daß sie später zu einer Verteidigungsarmee des Kosovo werden kann.

Die UCK hat für die Unabhängigkeit des Kosovo gekämpft. Die internationale Gemeinschaft will aber die bestehenden Grenzen nicht antasten und das Kosovo in Jugoslawien belassen. Zeichnet sich da ein Konflikt ab?

Die UCK hat für die Zukunft gekämpft. Wir respektieren den Zustand als Provisorium, aber das Kosovo hat keine Zukunft in Jugoslawien, das als Föderation auch keine Zukunft hat.

Die Albaner haben, nach all dem, was passiert ist, einen großen Haß auf die Serben. Und vermutlich über die Hälfte der Kosovo-Serben ist geflohen. Werden sie je zurückkommen?

Wir sind gegen Rache. Wir haben nicht gekämpft, um Rache zu nehmen, sondern für Freiheit und Demokratie. Und Freiheit und Demokratie gelten für alle Völker, die im Kosovo leben. Wir wollen ein multiethnisches Kosovo. Wir haben die Serben aufgerufen zu bleiben, weil es auch ihr Land ist. Natürlich gibt es keinen Platz für jene, die Massaker begangen haben. Die gehören nach Den Haag.

Gibt es für Sie eine „albanische Frage“, die historisch noch offen und ungelöst ist? Die Albaner wohnen in drei Staaten: in Albanien, in Jugoslawien und in Makedonien. Sollten sie nicht das Recht haben, in einem einzigen Staat zusammenzuleben?

Die UCK war nie für ein Großalbanien. Sie war auch immer gegen ein Großserbien. Uns interessieren die Freiheit, die Demokratie, der Respekt vor den Menschenrechten und die Integration des Balkan.

Interview : Thomas Schmid