Ferkel beim Partnertausch

Selten dient's der Fortpflanzung: Der Ottensener Dichter, Denker und Zeichner Ernst Kahl erkundet mit „Das letzte Bestiarum Perversum“ sexuelle Ausschweifungen in der Fauna – und, das versteht sich, der menschlichen Fantasie  ■ Von Eberhard Spohd

Der Herr Kahl ist so einer. Bereits 1985 veröffentlichte der beliebte Hamburger Dichter, Denker und Zeichner sein „Bestiarium Perversum“, und als ob es damit nicht genug sei, kommt jetzt eine erweiterte Neuausgabe über Rogner & Bernhard auf den Buchmarkt. Oder besser: auf den Schmuddelheftchenmarkt.

Als der Physiologus vermutlich im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt in Ale-xandria erschien, konnte man mit den allegorischen Tierdarstellungen noch etwas anfangen. Die typologische Deutung von Bibelstellen, in denen Tiere vorkamen, waren stets ein Quell der Erbauung für gläubige Christen. Die illustren illustrierten Handschriften, die Darstellungen an den Portalen und Chorgestühlen der großen Kirchen des Abendlandes wiesen dem Betrachter noch den korrekten Weg zum Seelenheil.

Auch die mittelalterlichen Bestiarien waren für den Leser durchaus nützlich. Wie sonst hätte man sich bei Sonntagsspaziergängen durch Wald, Feld und Flur den Horden von Sphingen, Chimären oder Harpyien erwehren sollen? Die Beschreibungen von deren Verhalten machten es möglich, adäquat auf diese Begegnungen zu reagieren, ohne sofort in Stein verwandelt oder einfach gefressen zu werden. Die Abbildungen erleichterten es dem harmlosen Wanderer solche Gefahren zu erkennen.

Nur Herr Kahl denkt beim Thema Bestiarium nur an das eine. In einer geradezu widerwärtigen Art und Weise nähert er sich der Sexualität der Tiere. Das bedeutet nicht, daß er sich dem normalen Fortpflanzungstrieb widmet, der zur Vermehrung der von uns geschätzten gefiederten und bepelzten Freunde führen würde. Nein, der Herr Kahl äußert sich in obzönster Manier zu den perversen Gelüsten, die er im Tierreich vermutet.

Da reißen sich ein Erdferkel- und ein Nasenbärpärchen gegenseitig die Felle vom Leib, um sich beim Partnertausch sämtliche Extremitäten in die dargebotenen Körperöffnungen zu schieben. Da erzählt er von der körperlichen Liebe zwischen Schwein und Mensch. Da beschreibt er auf blasphemischste Weise, wie ein Hündchen gegen das Kreuz uriniert, an dem ausgerechnet Jesus hängt, und von den Fliegen, die sich an des Heilands Blut laben, und dem Geier, der in der Dornenkrone nistet.

All diese gutgepflegten Obsessionen gibt der Herr Kahl der Öffentlichkeit preis. Als ob es nicht reichte, daß der Ottenser Bonvivant in den stadtteilansässigen Kneipen wohlmeinende Bürger mit lauter Rede erschreckt.

Dazu noch die perversen Bilder. Am harmlosesten noch das Schlußidyll: ein Hirsch, dessen Geweih aus zwei Antennen besteht, steht an einem Seeufer im Sonnenuntergang. Aus seinem Anus verläuft ein Kabel zu einem Fernseher, auf dessen Bildschirm die Hasen einen Tierfilm betrachten. Schlimmer: Auf einem anderen Bild ist eine Katze zu sehen, die einen Handstand auf der Rückenlehne eines an die Wand gerückten Stuhles macht und mit gespreizten Hinterläufen Mitternacht erwartet. Denn dann wird aus der über ihr hängenden Kuckucksuhr zwölfmal der unschuldige Vogel fahren und ihr ins Geschlecht pochen.

Man fragt sich unwillkürlich, was der 50jährige Multi-Kreative eigentlich erlebt haben muß, um dermaßen zu phantasieren. Oder – noch schlimmer – was nicht. Und dann erinnert man sich, daß schon den Boje-&-Buck-Produktionen im Kino stets ein Kahl-Tableau vorweggestellt wurde: ein Karniggel mit der toten Schlange im Maul. Pervertierte Tierwelt, das ist es, was den Herrn Kahl zu reizen scheint.

Wer sich der Betrachtung und Lektüre seines Bestiariums hingibt, kann sich oftmals des Schmunzelns nicht erwehren. Ja selbst lauthals Loslachen kommt vor. Dann allerdings sollte sich der Konsument – denn um keinen anderen handelt es sich in diesem Fall – um seine Psyche sorgen. Der Schaden, den dieser sexuelle Horror in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen anrichten kann, wagt man nicht, sich auszumalen.

Auf der anderen Seite, das muß man so sagen, sollte dieses abschreckende Beispiel allen bekannt werden. Jeder und jede sollte Bescheid wissen über den Abgrund, über dem die Seele so manches Herren baumelt und der sich drohend vor wirklich jedem von uns auftun kann. Darum kaufen Sie dieses Buch, lesen Sie es und delektieren Sie sich daran! Zu Eurem Seelenheil.

Ernst Kahl: „Das letzte Bestiarium Perversum“. Rogner & Bernhard bei 2001, Hamburg 1999, 221 Seiten, 20 Mark