Kommentar
: Waschbrettkopf der Neuen Mitte

■ Feldjägergelöbnis in Tiergarten

„Scharping trägt an der Last des Ältesten, der an Stelle des Vaters Sorge für seine Geschwister zu tragen hat. Das ist keine freudig gewählte Aufgabe, sondern eine Obligation natürlicher Vergemeinschaftung. Als psychodynamische Führungsfigur verkörpert Scharping die Transformation der großen patriarchalischen Brüderlichkeit in eine kleine, aber unnachgiebige Geschwisterlichkeit.“ Das hat der Soziologe Heinz Bude in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Bude, entschiedener Propagandist der Berliner Republik, repräsentiert die Soziologie der Neuen Mitte: Deskription und Analyse der Verhältnisse und ihrer Protagonisten sind geknickt, an ihre Stelle tritt der Applaus, die uneingeschränkte Affirmation des Vorgefundenen. Weil allzu offenes Claquieren aber ein bißchen anstößig ist, werden die Banalitäten im Jargon des Erhabenen vorgetragen. Was es tatsächlich auf sich hat mit der Berliner Republik, der Neuen Mitte und der unnachgiebigen Geschwisterlichkeit, konnte man zuerst im Krieg und jetzt wieder am 20. Juli besichtigen: Feldjäger überall. Die erkennt man an ihrem Waschbrettkopf. Man fragt sich, was passiert sein muß, daß einer, der doch wahrscheinlich als Mensch geboren wurde, so etwas werden kann: ein Kettenhund. Bude hätte sicher eine geschwollene Erklärung parat.

Der öffentliche Protest gegen das Gelöbnis, bei dem organisiertes Totmachen offiziell zu grundhumanitärer Hilfeleistung umgestrickt wurde, war zahlenmäßig armselig, und das Gerede vom „Unmut des Volkes“ aus dem Lautsprecherwagen ist blödes Pathos. Erhellend dagegen ist, wie martialisch und überdimensioniert Polizei- und Feldjägereinheiten aufmarschierten: Die Geburtsstunde einer rot-grün demokratisierten Bundeswehr findet im Polizeistaat ihren angemessenen Rahmen. Daß ein paar Unbekleidete den in vollem Ornat angetretenen Verein Freunde des Tötens e. V. ärgerten, ist persönlich mutig und politisch hilfreich – entlockte es doch dem Bundeskanzler den Gedanken, zu dem er fähig ist: „Das bestätigt, daß es nicht immer die Mädchen mit den besten Figuren sind, die sich ausziehen.“ Vielen Dank. Gerhard Schröder ist der oberste Waschbrettkopf des Landes. Wiglaf Droste