„Ein Loser-Land“

■  Der bulgarische Konzeptkünstler Nedko Solakov über nationale Selbstironie und seine Postkartenaktion auf der Venedig-Biennale

„Some stories“ nennt der 1957 geborene Bulgare Nedko Solakov seine künstlerische Arbeit der letzten zehn Jahre. Ob die Museumssammlung als Fetisch oder der Kurator als Werbeträger für Ideen – stets spiegelt sich bei Solakov die Absurdität des Kunstbetriebs wider. Zur Biennale in Venedig hat er sich nun den nationalen Stolz auf die Länder-Pavillons vorgenommen: Solakov brachte eine Postkarte mit der Ankündigung heraus, daß Bulgarien nach 35jähriger Abwesenheit 2001 in Venedig vertreten sein werde.

taz: Seit 1964 hat Bulgarien bei keiner Biennale in Venedig teilgenommen. Der offizielle Beitrag in diesem Jahr ist Ihre Ankündigung, daß das Land das nächste Mal im Jahr 2001 teilnehme. Was steckt dahinter?

Nedko Solakov: Im Februar kam der Brief von der Biennale, daß Bulgarien zugelassen ist. Wir sollten zu den Ländern, die keinen eigenen Pavillon haben, und hätten damit an Szeemanns „d'APERTutto“-Programm teilnehmen können. Da verstand das Kulturministerium in Sofia, daß eine solche Aktion auch etwas kostet – nämlich 10.000 Mark für 50 mal 70 Quadratmeter, wie man mir sagte. Ich erwiderte, daß das nicht sein könne, daß das viel zu wenig sei. Aber sie waren ganz sicher. Natürlich war es Unsinn, tatsächlich wurden uns 50 bis 70 Quadratmeter angeboten, und in der Übersetzung des Briefs war das Wort „monatlich“ gekillt. Nicht 10.000 Mark, sondern knapp 50.000 Mark waren zu zahlen. Es war klar, daß Bulgarien gar kein Geld hatte. Das ist ein gutes Beispiel für die totale Inkompetenz im Ministerium. Sie haben von nichts eine Ahnung.

Wie hat es dann doch geklappt?

Sechs Wochen vor Beginn der Biennale hat das Ministerium den Wettbewerb ausgeschrieben, am 4. Mai wählte die Jury das Projekt von mir und der Kuratorin Iara Boubnova aus. Am nächsten Tag erfuhr ich von Harald Szeemann, daß wir zu spät seien. Ich habe ihm dann gesagt, daß das Projekt die gegenwärtige Situation in Bulgarien genau widerspiegeln würde. Am 22. Mai hat die Biennale zugesagt. „Botschafter“ wie Hans Ulrich Obrist und Robert Fleck verteilen jetzt die Karten. Außerdem haben wir acht Plexiglas-Boxen unter anderem im italienischen, östereichischen und französischen Pavillon.

Die dortigen Kuratoren haben das akzeptiert?

Es gibt ja eine große Opposition gegen diese Länder-Pavillons. Leute wie Hou Hanru, der Co-Kurator des französischen Pavillons, verstehen die Aktion auch als Beitrag, die Biennale offener zu gestalten, länderübergreifend.

Ist Ihre Selbstironie typisch für die derzeitige osteuropäische Kunst?

Für Bulgarien schon. Wir sind ja ein völliges Loser-Land: Keiner will uns in der EU, keiner in der Nato. Da muß man Ironie entwikkeln, um zu überleben. Als ich die Idee der bulgarischen Regierung vorstellte, war ich sehr gespannt, immerhin benutze ich die nationale Flagge. Aber alle mochten das Projekt. Auch Präsident Stojanow. Das zeigt für mich, daß wir doch einen ganz guten Sinn für Humor und Absurdität haben. Aber es gibt osteuropäische Staaten, bei denen das nicht so ist: Makedonien etwa. Vielleicht weil es so ein junger Staat ist, der noch ums Überleben kämpft. Ein anderes Beispiel ist Polen. Sie haben eine grandiose künstlerische Vergangenheit und können deshalb ihre Reputation nicht aufs Spiel setzen. Aber in Bulgarien ist das anders. Hier gibt es nichts zu verlieren. Viele arbeiten konzeptionell – wenn man kein Geld hat, muß man seinen Kopf anstrengen. Aber die bulgarische Konzeptkunst hat etwas typisch Bulgarisches, sie ist nicht so puristisch. Es gibt bei uns mehr Materialität. Was ich bei den großen Ländern beobachte, ist dieser Mangel an Distanz. Gerade nach dem Kosovokrieg hätte ich mehr Selbstreflexion erwartet. Alle Nato-Länder zeichnen sich aber durch das Fehlen von Selbstironie aus. Ich finde das schlimm, denn dahinter steckt ein unbedingter Wahrheitsanspruch.

Verstehen Sie sich selbst als politischer Künstler?

Eigentlich nicht. Ich bin ein Märchenerzähler, im Vergleich zu Kabakov arbeite ich aber nicht mit der Vergangenheit, sondern mit absurden Geschichten. Mich interessieren die Folgen dieser Geschichten. Was passiert, wenn das und das eintritt. Dabei versuche ich, die Geschichten so universell wie möglich zu halten. Ich will nicht „bulgarisch“ sein oder „osteuropäisch“. Die Arbeit muß Erkennbarkeit haben, die Geschichte muß einfach sein, und darunter müssen Dinge vergraben sein, die nicht ganz so einfach sind. So wie bei der Postkartenaktion.

Interview: Andreas Bauer