Kaschperletheater für zehn Millionen

Die Kinder der Bundestagsmitarbeiter dürfen in einer eigens gebauten Kita spielen, die jetzt eingeweiht wurde. Derweil sind in den Kindergärten der Umgebung noch Plätze frei. Einwände des Rechnungshofs zählten nicht  ■   Von Jutta Wagemann

Berlin (taz) – Tatsächlich, Kinder sind auch da. Sie sitzen auf einer grünen Koboldfigur, auf der Schaukel und im „Schlüsselübergabe“-Zelt. Da, wo Fotografen und Kameraleute sie gerne haben. Die Mitglieder der Berliner Kinderchors „Canzonetta“, die zur Begrüßung „Alle Vögel sind schon da“ singen dürfen, sind nur Dekoration fürs Einweihungsfest. Berliner Kinder werden diese Kindertagesstätte erst einmal nicht besuchen. Sie ist für die Bonner, für den Bundestagsnachwuchs.

Die fast fensterlose Straßenfront glänzt in Hellblau wie bei einem Schwimmbad. Darüber wölben sich zwei silberfarbene kleine Kuppeln. Wie ein Ufo, das gleich abhebt. Die Frankfurter Rundschau will schon erfahren haben, wie die Berliner das Gebilde getauft haben: „Tittengarten“.

Im Hintergrund erhebt sich mächtig das neue Bundeskanzleramt, auf der anderen Seite wächst der Alsenblock aus dem Boden, in den ein Teil der Bundestagsverwaltung einziehen soll. Deren Mitarbeiter sollen ihre Kinder in unmittelbarer Nähe zum Arbeitsplatz unterbringen können. Deshalb bestand der Bundestag darauf, in der Nachbarschaft eine Kita zu bauen.

Der Wind zieht über das „begeh- und bespielbare Gründach“, wie sich der österreichische Architekt Gustav Peichl ausdrückt. Im Winter dürfte es hier lausig kalt sein. An diesem heißen Julinachmittag aber bekäme man ohne Wind glatt einen Sonnenstich. Schatten gibt es kaum. 176 Kinder, betreut unter anderem von 20 Erzieherinnen, die aus Bonn mitkommen, sollen ab August über den Dachrasen tollen und sich in den beiden Kuppeln Höhlen bauen. Ein kleiner bunter Holzbau dient als Spielhaus – in Form des Kanzleramts übrigens. „Ein Dialog zwischen Politik und Kaschperletheater“, schwärmt Architekt Peichl. Er hat für 9,8 Millionen Mark die Kita gebaut. „Es ist die vornehmste Aufgabe eines Architekten, für die Jugend zu planen“, sagt Peichl.

Die Aufgabe ist so vornehm, daß der Bundestag die Frage des Bedarfs elegant hat unter den Tisch fallenlassen. Obwohl im Bezirk Mitte zahlreiche Kitaplätze frei sind, wurde der Neubau errichtet. „Mit dem Geld könnten wir alle unsere Kitas sanieren“, sagt Bezirkssprecherin Kerstin Drobick verbittert. Sowohl die Bezirke Mitte und Tiergarten als auch Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) hatten von Anfang an darauf hingewiesen, daß Kapazitäten vorhanden sind. Denn immer mehr Familien ziehen aus den Innenstadtbezirken weg. Die Geburtenrate sinkt. Der Bundesrechnungshof hatte angemerkt, daß der Bundestag die Alternativen zuwenig geprüft habe. Die Einwände zählten für den Bundestag nicht. In Bonn gab es seit 1970 einen Bundestagskindergarten. Warum also nicht auch in Berlin?

Die Öffnungszeiten seien den ungewöhnlichen Arbeitszeiten der Bundestagsmitarbeiter angepaßt, rechtfertigt der stellvertretende Bundestagsdirektor, Hans-Joachim Stelzl, die Einrichtung. Es bleibt der Pressesprecherin überlassen zu erklären, was an Öffnungszeiten von 8 bis 19 Uhr ungewöhnlich ist. Kitas des Bezirks Mitte sind laut Bezirkssprecherin von sechs bis 19.30 Uhr geöffnet. Nach Wunsch auch länger. Aber die Entfernung zu den vorhandenen Kitas sei dem Bundestag wohl zu groß gewesen, sagt die Jugendstadträtin des Bezirks, Eva Mendl. Dabei gibt es Kitas in der Friedrich-, der Französischen oder der Mohrenstraße, mitten im Regierungsviertel.

Um den Ansprüchen des Rechnungshofs gerecht zu werden, ist die Kita als Betriebskindergarten deklariert. Die Baukosten sind im Bundestagshaushalt veranschlagt. Ein, wie der Architekt sagt, „einfaches, bescheidenes Bauwerk“, finanziert vom Steuerzahler. Nur wenn nicht alle Plätze belegt sind, wird die Kita auch der Allgemeinheit geöffnet. Zur Zeit aber kann nicht einmal die Nachfrage der Bundestagsmitarbeiter befriedigt werden. Bevorzugt werden Kinder von Alleinerziehenden und von Beschäftigten der unteren und mittleren Einkommensschichten. Die Kita sieht aus, wie eine neugebaute Kita aussehen muß. Ein warmer Holzton, Parkettboden und große Fenster zum Garten machen die Gruppenräume freundlich. Der Fußboden der Flure ist weich. Wofür die perfekt zum Stolpern geeigneten Metallbügel im Dachgarten und die scharfen Metallkanten der herausragenden Zwischendächer dort oben allerdings gut sein sollen, bleibt das Geheimnis des Architekten.

Auch der Bezirk Mitte hat gerade eine neue Kita eingeweiht. Wegen Baufälligkeit oder zu hoher Mieten mußten viele andere geschlossen werden. Die neue Kita bietet 121 Kindern Platz und hat einen großen Spielplatz. Einen Dachgarten gibt es nicht. Einen Stararchitekten auch nicht. Der Bau hat etwa halb so viel gekostet wie die Bundestagskita.

Ein einfaches, bescheidenes Bauwerk, sagt der Architekt. Mit dem Geld könnten wir alle unsere Kitas sanieren, sagt die Bezirkssprecherin von Mitte