■ Finnland nutzt seine Ratspräsidentschaft, um die sprachliche Kleiderordnung in der EU neu zu regeln: Bei informellen EU-Treffen ist Deutsch als Arbeitssprache gestrichen. Aus Sicht eines kleinen Partners verständlich, aber rechtlich ohne Basis  Von Daniela Weingärtner
: Europa lebt von der Sprachenvielfalt

„Altercatio quaedam inter Finniam et Germaniam orta est.“ Zu deutsch: Es ist ein Streit zwischen Finnland und Deutschland ausgebrochen. Der alte Otto von Habsburg dürfte am derzeitigen Sprachenkrach in der Europäischen Union seine Freude haben. Schließlich stellt die finnische Ratspräsidentschaft ihre Weltläufigkeit dadurch unter Beweis, daß sie regelmäßig im Internet Nachrichten in lateinischer Sprache verbreitet (http://presidency.finland.fi/frame.asp). Und Latein ist nach Überzeugung des 86jährigen Adelssprosses, der bis vor kurzem im Europaparlament saß, ohnehin das beste Präzisionswerkzeug für komplizierte Sachverhalte.

„Sprachenvielfalt schützt die Schwachen“

Otto von Habsburg, der sieben Sprachen fließend spricht und dem EP mehrere Legislaturperioden lang angehörte, brachte die Dolmetscher in ihren Kabinen einmal dadurch in Verlegenheit, daß er aus dem Stegreif eine Rede auf Latein hielt. Von einer gemeinsamen europäischen Verkehrssprache wie Esperanto oder Englisch hält er aber gar nichts. „Sprachenvielfalt schützt die Schwachen“, davon ist von Habsburg überzeugt.

Für kleine Sprachgemeinschaften wie die Finnen ist die Möglichkeit, sich auf europäischen Konferenzen in ihrer Muttersprache äußern zu können, eine kulturelle Überlebensfrage. Sind Dolmetscher oder technische Möglichkeiten begrenzt, wird an Finnisch oder Dänisch ohnehin zuerst gespart. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nur zu verständlich, daß die Finnen ihre EU-Präsidentschaft dazu nutzen, die Frage nach der sprachlichen Kleiderordnung in der Gemeinschaft neu zu stellen. Irritierend ist nur, daß sie ausgerechnet das Deutsche ins Visier nehmen, um ein Exempel zu statuieren: Neben der Sprache des Gastgeberlandes sollen bei EU-Arbeitstreffen nur Englisch und Französisch als Arbeitssprache benutzt werden.

Ungehalten bis schroff waren denn auch die ersten Reaktionen aus Bonn und Wien. „Bis es wieder eine Übersetzungskabine für Deutsch gibt“, hieß es aus Wien, wolle man zusammen mit Deutschland verhindern, daß die deutsche Sprache während der finnischen Ratspräsidentschaft nur bei 8 von insgesamt 14 informellen EU-Ministertreffen als Arbeitssprache zugelassen werde. Bundeskanzler Schröder empörte sich, Deutschland sei immerhin „größter Nettozahler der EU“ und forderte seinen Staatsminister Michael Naumann auf, dem informellen Treffen der EU-Kulturminister im finnischen Savonlinna fernzubleiben. Naumann wies darauf hin, daß Deutsch seit dem Beitritt Österreichs die am weitesten verbreitete Sprache in der EU sei. Außerdem gelte deutsch als „europäische Ursprache“.

Wenn es zu teuer ist, für das Treffen der EU-Kulturminister in Savonlinna oder für den Meinungsaustausch der EU-Industrieminister, der Anfang des Monats in Oulu stattfand, vier Sprachversionen bereitzustellen, warum nicht zur Abwechslung mal auf die französische Übersetzung verzichten?

Eine rechtliche Grundlage gibt es nämlich für die finnische Entscheidung, Deutsch als Arbeitssprache zu streichen, nicht. Die EU-Sprachenverordnung von 1958, die seither um die Sprachen der Beitrittsländer erweitert worden ist, erklärt alle elf in der Gemeinschaft verwendeten Sprachen zu Amtssprachen und Arbeitssprachen. Zwar hat es sich eingebürgert, bei informellen Ministertreffen nicht in dem Umfang zu dolmetschen, der für offizielle Ratstreffen vorgesehen ist. Aber Deutsch, Französisch und – seit Großbritanniens Beitritt 1973 – auch –nglisch gelten traditionell als Mindeststandard mit aktiver und passiver Übersetzung. Hinzu kommt die Sprache des jeweiligen Gastgeberlandes.

Seit Mitte 1997 ist diese Traditon etwas in Vergessenheit geraten. Da mit Luxemburg, Großbritannien und Deutschland drei Länder die Präsidentschaft innehatten, deren Sprachen ohnehin zum Standard gehören, war eine vierte Sprachversion bei den informellen Treffen überflüssig. Noch im 1. Halbjahr 1997 aber hatten die Holländer, von einer Ausnahme abgesehen, Deutsch voll gedolmetscht.

Wenn die Finnen jetzt die Diskussion um Gleichbehandlung, Minderheitenschutz und Kostendämpfung aufleben lassen, dann müssen sie die Frage beantworten, nach welchen Kriterien in Zukunft der sprachliche Rahmen von EU-Zusammenkünften abgesteckt werden soll. Da der Blick ins Gesetzbuch nicht weiterhilft, kann der Maßstab nur sein, was am wenigsten kostet oder was den meisten Konferenzteilnehmern nützt.

Die meisten EU-Menschen sprechen nur mäßig Englisch

Am billigsten wäre es sicherlich, den europäischen Wanderzirkus aufzugeben und alle Arbeitstreffen in Brüssel abzuhalten. Dort ist Dolmetschen in elf Versionen eingespielte Routine. Weder Mitarbeiterstäbe, noch Akten, noch Journalisten müßten unter großem organisatorischen und finanziellen Aufwand durch ganz Europa transportiert werden. Diese Lösung dürfte den Finnen nicht sehr sympathisch sein. Schließlich bedeutet der EU-Vorsitz gerade für ein kleines Land die Chance, seine Landschaft und Kultur den anderen vor Augen zu führen. Außerdem berichten Teilnehmer, die informellen Treffen in entspannter Atmosphäre außerhalb des eingespielten Brüsseler Apparates seien besonders ergiebig.

Geht man pragmatisch an den Sprachenstreit heran, müssen auch in Zukunft die Dolmetscher danach ausgewählt werden, welches Übersetzungsangebot die meisten Konferenzteilnehmer erreicht. In der EU sehen 90 Millionen Menschen Deutsch als ihre Muttersprache an. Fragt man danach, wer Deutsch als seine wichtigste Zweitsprache betrachtet, kommen nochmal 50 Millionen Menschen hinzu. In der Zweitsprachenstatistik liegt Deutsch gleich hinter Englisch und Französisch.

Natürlich könnte – wie jetzt schon in Wissenschaftsgremien und Wirtschaftskonferenzen üblich – Englisch zur einzigen Arbeitssprache bei informellen Treffen erklärt werden. Das spart Zeit und Geld und ist in diesen von Globalisierungswut und Standortängsten geprägten Zeiten eine populäre Forderung. Da aber – entgegen einem allgemeinen Vorurteil – die meisten Menschen Englisch nur sehr mäßig beherrschen, wäre der Preis sprachlicher Einfalt zu zahlen: inhaltliche Verflachung und kulturelle Vereinheitlichung.

Egal, von welchem Blickwinkel aus man es betrachtet: Finnland hat sich im Sprachenstreit vergaloppiert. Sicher hätte man sich vom deutschen Bundeskanzler eine weniger schroffe Reaktion gewünscht. Eine Boykotterklärung erstickt jedes gelassene Gespräch im Keim.

„Schützenswertes Gut der europäischen Identität“

Schröders Staatsminister Naumann hat seinen Protest im nachhinein geschickter verpackt: Er hat seiner finnischen Kollegin einen freundlichen Brief geschrieben, in dem er seine Verbundenheit mit finnischer Kultur und Sprache zum Ausdruck bringt. „Wir haben während unserer [...] Diskussionen doch immer Wert darauf gelegt, daß die kulturelle Vielfalt Europas [...] ein schützenswertes Gut der europäischen Identität sei“, schreibt der Kulturbeauftragte der deutschen Regierung. Und schließt seinen Brief, sprachlich ganz auf der Linie der derzeitigen EU-Präsidentschaft, auf Latein: triste est – schade eigentlich.