■ Bundeskanzler Schröders Besuch im Kosovo
: Stille Sehnsucht nach Helmut Kohl

Gerhard Schröder hat Ende letzter Woche im Kosovo das Richtige getan – und das Falsche gesagt. Er hat sich auf eigene Initiative mit dem serbischen Kirchenführer Pavle und anderen Vertretern der drangsalierten Serben getroffen. Das sind zwar nur Symbole, aber immerhin zeigen sie, daß Rot-Grün verstanden hat, daß eine Politik der Isolierung Serbiens falsch ist. Vor allem aber hat Schröder zwei bemerkenswerte Interpretationen der Rolle Deutschlands im Kosovo-Krieg geäußert. Der Bundeswehr-Einsatz sei geeignet, die historische Schuld „wenn nicht vergessen, dann doch verblassen“ zu lassen. Die Formulierung ist eher weiträumig und vage, man ahnt auch, daß Schröder nichts Böses meint – aber dieser Satz hat mehrere doppelte Böden. Zum einen klingt darin der Wunsch an, daß man doch endlich den Naziterror in Jugoslawien irgendwie vergessen möge. Diesen Eindruck aber darf ein deutscher Bundeskanzler in Jugoslawien nicht erwecken – aus moralischen Gründen nicht und weil dies in serbischen Ohren wie eine Provokation klingen muß.

Zudem fragt sich, ob Schröders Aufrechnung der guten Gegenwart gegen die böse Vergangenheit statthaft ist. Denn der Horizont dieses schlichten Satzes heißt ja: Man kann den Terror der Nazis, der Hunderttausenden in den 40ern das Leben gekostet hat, gegen den Bundeswehreinsatz verrechnen. Das verrät nicht nur historische Ignoranz, es setzt nebenbei auch die KFOR-Beteiligung der Bundeswehr in ein trübes Licht. Ist die Bundeswehr etwa im Kosovo, um das in der Region seit der Nazizeit lädierte Bild Deutschlands aufzuhellen? Eine Art Imagepflege also? Nein, so meint Schröder es natürlich nicht. Aber daß diese Interpretation möglich ist, ist Ergebnis des neuen, auftrumpfenden, geschichtsvergessenen Tons, den der Kanzler so gerne anschlägt.

Ähnlich denkwürdig klingt Schröders Begründung, warum die Bundeswehr im Kosovo ist. Die Truppe nehme uns in Deutschland die Aufgabe ab, die Flüchtlinge „zu beherbergen“. Auch diese Aussage ist, freundlich formuliert, offen für Mißverständnisse. Seit wann ist die Bundeswehr ein legitimes Instrument der Asylpolitik? Bedeutet dies, daß Bundeswehr-Einsätze „out of area“ wahrscheinlich sind, wenn es gilt, Flüchtlingsströme nach Deutschland zu verhindern? Und entsprechend unwahrscheinlich, wenn dies nicht der Fall ist? Ist dies der Grund, warum „humanitäre Interventionen“ der Nato auf Europa beschränkt sein sollen? Auch das meint Schröder bestimmt irgendwie anderes – und rauscht doch forsch durch vermintes Gelände. Er spricht doch nur aus, was doch ohnehin alle denken: Die „humanitäre Intervention“ der Nato war durchaus interessengeleitet.

Gerhard Schröder ist kein Deutschnationaler. Seine Ideologien heißen Pragmatismus und Machbarkeit. Seine Mißachtung der Geschichte speist sich nicht aus dem Wunsch, die Nazizeit zu relativieren, um nationale Werte wiederzubeleben. Seine Ignoranz der Historie gegenüber sitzt tiefer. Es ist die Verachtung des Parvenues, der die eigene Herkunft geringschätzt, für alles Geschichtliche. Für ihn existiert kein Bewußtsein des Wertes von Traditionen, für ihn zählt nur der Erfolg in der Gegenwart. Insofern ist er genau der Kanzler, den diese Gesellschaft verdient.

Hätte die Union die Wahl im September gewonnen und hätte der schneidige Volker Rühe im Kosovo gesagt, was Schröder sagte – SPD und Grüne hätten kopf gestanden, die liberale Presse wäre empört gewesen, und alle guten Menschen hätten die plumpen konservativen Normalisierungsversuche gegeißelt. Rot-Grün gilt in moralischen und vergangenheitspolitischen Fragen noch immer als per se unverdächtig, deshalb ist die öffentliche Wahrnehmungsschwelle hoch. Doch die kritische Öffentlichkeit täte gut daran, sich langsam mit den neuen Frontverläufen vertraut zu machen: Das alte Schema: links gleich pc, moralisch, antifaschistisch – rechts gleich machtorientiert und verdächtig, Nazivergangenheit zu verharmlosen, ist von gestern. Schröder – nicht Kohl, dessen politisches Koordinatensystem aus der Nachkriegszeit stammte – ist dabei, die endgültige Normalisierung Deutschlands durchzusetzen. Angesichts des naßforschen Auftretens des Kanzlers mag mancher durchaus eine stille Sehnsucht nach Helmut Kohl empfinden. Stefan Reinecke