■ In der arabischen Welt übernimmt eine neue Generation die Macht. Statt politischer Reformen geloben die Söhne Kontinuität
: Im Schatten der Väter

Wer sie in der arabischen Welt einmal in den Händen hält, der gibt sie nicht mehr her: Zur Macht sind die politischen Führer in der Region zwischen Rabat und Bagdad meist lebenslang verdonnert. Das Volk hat in der Frage, wer denn nun seine Geschicke lenkt, in der Regel überhaupt nichts zu melden. Und wer doch ernsthafte Einwände gegen das geradezu schicksalhafte Gelenktwerden von oben vorbringt, der landet schnell hinter Gittern.

So sind die Könige, Präsidenten, Emire und Revolutionsführer in den letzten Jahrzehnten ohne größeren Widerstand zur Institution geworden. Nennt sich das Konstrukt „Republik“, dann werden – wie im Falle Iraks, Syriens oder Ägyptens – Präsidentschaftsreferenden abgehalten, bei denen nicht nur das Ergebnis von vornherein feststeht, sondern dreist meist auch die verkündete Zustimmung über der 95-Prozent-Marke liegt. Bei Königen und Emiren bleiben dem Volk ohnehin nur der Handkuß und die Huldigung.

So ist es nur der Sensenmann, der in der arabischen Welt für Veränderungen an der Staatsspitze zuständig ist – und der hat dieses Jahr gleich dreimal zugeschlagen: Zunächst kündeten Anfang des Jahres die Koranverse im jordanischen Fernsehen vom Ableben des Haschemitenherrschers Hussein, dem damals dienstältesten Monarchen nach der britischen Königin. Kurz darauf verabschiedete sich der – im Umgang mit seiner Opposition als besonders brutal bekannte – Emir von Bahrain, Scheich Isa Ben Salman Al-Chalifa, vom Diesseits. Und jetzt folgte ihm der 1961 auf den Thron gestiegene marokkanische König Hassan II.

Nur in einem Fall wurde im letzten Jahr der Emir des kleinen Golfstaats Qatar in einer relativ friedlichen Palastrevolte noch lebend von seinem eigenen Sohn, Scheich Chalifa Ben Hamad at-Thani, beerbt. Ob die biologische Uhr zugeschlagen hat oder der ungeduldige Sohn – es ist eine neue Generation, die langsam, aber sicher die Geschicke der Region Nahost übernehmen wird. Dabei stehen die Neuen zunächst im Schatten ihrer Väter. Die meisten der Untertanen haben nie einen anderen Herrscher kennengelernt. Über vierzig Jahre hatte etwa König Hussein in Jordanien das Zepter in den Händen gehalten. Dreimal die Ära Helmut Kohl, an dessen Abgang sich auch die meisten Deutschen, politische Gegner oder Befürworter, erst einmal gewöhnen mußten.

Kein Wunder also, daß die arabischen Thronfolger, wie König Abdallah in Jordanien oder König Mohammed in Marokko, zunächst als vollkommene Zäsur erscheinen. Gemeinsam ist den Neuen, daß sie allesamt als politische Grünschnäbel gelten. Da ist es um so verwunderlicher, daß alle drei Generationenwechsel dieses Jahr ohne größere politische Erdbeben abliefen. Der automatische Übergang vom Vater zum Sohn scheint fast als etwas Gottgegebenes angesehen zu werden.

In Jordanien etwa brodelte mit der immer offensichtlicher werdenden Krebskrankheit des Herrschers zwar die Gerüchteküche um den Thronfolger – der undemokratische monarchische Mechanismus der von oben bestimmten Thronfolge wurde allerdings nirgends in Frage gestellt. Das ist um so erstaunlicher, als daß es zwar in manchen arabischen Ländern parlamentarische Spielwiesen gibt, es am Ende aber eben doch dieser König oder Präsident ist, der die politisch entscheidenden majestätischen Erlasse von oben verkündet.

So bleibt jenen, die in der arabischen Welt auf Veränderungen hoffen, nur der Ausblick darauf, daß die biologische Erneuerung an der Spitze auch politische Folgen nach sich zieht. Die Kernfrage lautet, ob sich die im Schatten ihrer Väter aufgetauchten politischen Grünschnäbel als mögliche Träger politischer Reformen erweisen könnten, die vielleicht so weit gehen könnten, daß die Untertanen am Ende gar als mündige Bürger angesehen werden.

In ihren ersten Fernsehansprachen gelobten die Neuen bisher immer zuerst das wichtigste Prinzip ihrer Herrschaft: „Kontinuität“. Das verheißt an sich nichts Gutes. Aber Machterhaltung bedeutet am Ende des 20. Jahrhunderts selbst in der arabischen Welt das eine oder andere kleine Zugeständnis.

So sind es Schicksale wie die des Indonesiers Suharto, die den einen oder anderen arabischen Herrscher dazu veranlassen könnten, einen begrenzten demokratischen Spielraum zuzulassen, um am Ende weiterhin zu versuchen, als Schiedsrichter zu fungieren, anstatt irgendwann einmal völlig von unten weggefegt zu werden. Während der neue jordanische König Abdallah derzeit im wesentlichen noch vorsichtig darauf bedacht ist, bloß nichts falsch zu machen, hat der junge Emir von Bahrain zunächst zumindest zahlreiche politische Gefangene freigelassen und versucht die beschädigten Beziehungen zwischen Herrscherhaus und schiitischem Volksteil zu reparieren.

Der neue Emir von Qatar hat den bisher unabhängigsten Fernsehsender der arabischen Welt zugelassen. Auch vom neuen marokkanischen Herrscher werden weitere kleine politische Reformen erwartet – ein Prozeß, den sein Vater bereits begonnen hatte. Aber sie alle wissen auch, daß wahre politische Reform in letzter Konsequenz die eigene Abschaffung bedeutet.

Eine rote Linie, die – neue Generation hin oder her – keiner von ihnen freiwillig überschreiten wird. Ein Nelson Mandela, der freiwillig von der Macht zurücktritt und seinem gewählten Nachfolger Platz macht, scheint in der arabischen Welt undenkbar. Die Zeichen stehen also weiterhin auf politischer Stagnation. In den westlichen Hauptstädten atmet man angesichts eines solchen relativen politischen Stillstands paradoxerweise erleichtert auf.

Ein heuchlerischer Diskurs macht sich dort breit. In den westlichen Debattenrunden werden die arabischen Länder gern als undemokratisch angeprangert und stehen auf der Liste der Menschenrechtsverletzer oft ganz oben. So manche Entwicklungsgelder fließen in den vermeintlichen Aufbau der dahinkümmernden arabischen Zivilgesellschaft. Im Zweifelsfall lautet die Devise aber auch im Westen: Stabilität und Kontinuität sind wichtiger als unberechenbare politische Experimente.

So beeilen sich die Clintons und der Rest der westlichen Crème de la crème, stets medienwirksam bei den Beerdigungen nicht nur den ehemaligen undemokratischen Herrschern ihren letzten Respekt zu erweisen, sondern auch den neuen anerkennend die Hände zu schütteln. Als Begleitmusik verkünden die Medienkommentatoren erleichtert, daß sich nichts Grundlegendes verändern wird.

Die Angst vor dem Neuen entspringt im wesentlichen immer drei Gewürzen, mit denen die arabische Welt gesegnet ist: dem israelischen Nachbarn, dem für den Westen lebenswichtigen Öl und der bedrohlichen Waffenarsenale, einschließlich Massenvernichtungswaffen. Im Falle Marokkos kommt vielleicht noch hinzu, daß jede Instabilität die unerwünschte Flucht oder Migration nach Europa anheizen würde. Um nur ein Beispiel näher zu erläutern: Als größter Unsicherheitsfaktor im sogenannten Nahost-Friedensprozeß haben sich bisher nicht die stabilen arabischen Regime, sondern die durch Wahlen immer wieder wechselnde israelische Regierung erwiesen.

Ein an die Macht geputschter syrischer Präsident Hafis al-Assad steht am Ende mehr zu seinem Wort als ein demokratisch gewählter israelischer Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Das scheint nun auch die neue israelische Regierung unter Ehud Barak verstanden zu haben, die sich beeilt, mit Hafis al-Assad ins Geschäft zu kommen. Sollte der kränkelnde Assad einmal auch dem Beispiel der Könige Hassan und Hussein folgen, ist unklar, ob auch sein Nachfolger fähig wäre, einen Friedensvertrag mit Israel innenpolitisch durchzusetzen. Ein Generationenwechsel könnte zumindest potentiell die Karten im Nahen Osten völlig neu mischen. Aber genau das ist der Grund, warum am Ende alle Akteure alles daran setzen werden, damit das Blatt auch bei neuen Spielern nichts wesentlich Neues bringt.

Die arabischen Könige, Emire und Präsidenten auf Lebenszeit behalten ihre Macht meist in der Familie, der Westen und Israel wissen, mit wem sie es zu tun haben, und werden sich von keinem Pokerface überraschen lassen. Und die Beherrschten, jene 210 Millionen arabischen Untertanen? Sie sollen nur nicht dazwischenfunken und sind bis auf weiteres weiter zum Zuschauen verdammt.

Karim Al-Gawhary

Für Veränderungen an der Staatsspitze ist einzig der Sensenmann zuständigDie Zeichen im arabischen Raum stehen weiterhin auf politischer Stagnation