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JazzkolumneBlaue Politik

■ Charles Mingus ist tot, doch seine Band jammt in New York Löcher in die Decke

Rabiat weisen sie den Weg zum Tisch. Die Kellnerinnen vom Typ Feldwebel, gestreßt, weiß, New York Experience, kurz: total unfreundlich, lassen keinen Zweifel daran, daß sie nicht gefragt werden wollen. Ob es das Loch noch gibt, das Charles Mingus einst mit seiner Faust in die Decke drückte, weil der Clubgründer Max Gordon nicht mehr, zuwenig oder überhaupt nicht zahlen wollte.

Heute wird das Village Vanguard von der Witwe Lorraine Gordon geführt, und so wie es dort aussieht, ließe das Loch sich bestimmt noch finden. Renoviert wurde hier lange nicht, und auch die Stühle, die irgendwie nach alten Klassenzimmern riechen, werden schon dagestanden haben, damals, als John Coltrane hier seine Platten aufnahm.

Charles Mingus trifft man einige Blocks und zwanzig Minuten entfernt, im Time Café. Er lebt zwar nicht mehr, doch versammeln sich jeden Donnerstagabend hier unter Aufsicht der Mingus-Witwe Sue wichtige Musiker der Stadt zum Jammen. Die Mingus Workshop Big Band ist mittlerweile wiederholt von den Fachzeitschriften zum besten Live-Act der New Yorker Szene gekürt worden.

Charles Mingus war schwarz, Bassist und Komponist, Bandleader und kein leichter Typ. Leute, die Mingus überhaupt nicht mochte, waren weiße Rassisten. Sue Mingus hat jetzt für die neue CD der Mingus Big Band „Blues & Politics“ (Dreyfus/ACT) einige der zahlreichen Mingus-Kompositionen neu aufnehmen lassen, die das dokumentieren. „Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomp On Me“, „Haitian Fight Song“ und „Freedom“ sind alle auch noch in den Originalversionen käuflich, und die aktuellen Interpretationen dieser Band lassen auch keinen Zweifel dran, wer hier der Chef war. Und doch brechen die Jungs geschickt mit einem Tabu der Neunziger.

Sie räumen mit der Sprachlosigkeit auf, die sich im Jazz dieser Dekade etablieren konnte, ohne je en vogue gewesen zu sein. Der gesellschaftliche Sinn des Jazz war von jeher begrenzt, der Jazzimpuls hatte die Kraft der schwarzen Musik zu transportieren, Wege aufzuzeigen, die aus dem Nichts improvisiert werden, Authentizität zu behaupten, wenn Antworten verlangt sind. Der Weg in die Philharmonie forderte dem Jazz das Originäre ab: visionäre Trotzigkeit.

Und der Weg auf die Straße war seine Sache nie. In den kleinen Clubs überlebte schließlich ein Gedanke, daß das doch nicht alles gewesen sein könne. Die Mingus Big Band hat ihn jetzt aufgenommen.

Daß Jazzmusiker mit ihren Titeln politische Mißstände kommentieren, war in den sechziger Jahren jedenfalls das mindeste. Daß ihre Musik den Protest auch ausdrücken und transportieren konnte, blieb die Ausnahme. Dazu gehört der von Malcolm X inspirierte Change-the-world-Now!-Chorus eines John Coltrane, Archie Shepp oder Charles Mingus. Mit dem soziokulturellen Brainwashing der Reagan-Administration kamen dann die Smooth-&-Hype-Typen in den Jazz.

Als der schwarze Jazzpoet Gil Scott-Heron in seinem 1984er Wahlsong „Re-Ron“ die Frage nach einem schwarzen Präsidentschaftskandidaten thematisierte – „Ihr fragt, ob wir Jesse Jackson wollen? Hölle ja, wir würden sogar Michael Jackson nehmen“ –, starrte die Szene bereits auf die neokonservativen Hardliner. Herons These, daß die Revolution nicht TV-kompatibel sei, entpuppte sich als Irrtum, fast gleichzeitig bahnte sich die CD ihren Weg als Medium widerständiger Botschaften.

Die Riots in Watts, Los Angeles, 1992, wurden in einem Livekonzert von Lester Bowies Brass Fantasy musikalisch kommentiert. Die CD „The Fire This Time“ dokumentiert eines der politisch korrektesten Jazzstatements der 90er Jahre. Für Bowie, Trompeter, seit 30 Jahren politischer Sprecher des Great Black Music Kollektivs, Art Ensemble of Chicago, und heute Anhänger des schwarzen Nationalistenführers Louis Farrakhan, ist Musik als Ausdruck des Lebens immer auch ein politisches Statement. Die Tradition des Jazz sei Rebellion, und die Aufgabe der Jazzer sei es, an der Veränderung der Musik zu arbeiten.

Für eine solche Kontextbildung ist das Mingus-Songbook die ideale Quelle, bluesorientiert und politisch engagiert. Und das macht die Mingus Big Band auch so attraktiv dieser Tage.

In ihren Konzerten werden die aktuellen Mißstände des New Yorker Polizei-Regimes thematisiert, staatlich gedeckte Folterungen und Todesschüsse gehören mittlerweile zur Tagesordnung in den Suburbs. Die no-tolerance-Polizei-Politik des New Yorker Bürgermeister Giuliani reißt derzeit nicht nur zahlreiche Jazzkünstler aus dem Peace-&-Clinton-Schlaf auf den Refuse-&-Resist-Plan. Die Mingus-Komposition „Fables of Faubus“, vor vierzig Jahren gegen einen rassistischen Politiker getitelt, der als Gouverneur in Little Rock, Arkansas, sich gegen die Integration weißer und schwarzer Schulen verwehrte, bis Regierungstruppen geschickt wurden, wird in den aktuellen Mingus Big Band Konzerten in „Fables of Giuliani“ umbenannt.

Als Opener von „Blues & Politics“ gibt es ein Mingus-Original aus dem Jahr 1965, das den Bloody Sunday in Selma, Alabama, musikalisch nachzeichnet, ein Marsch für schwarzes Wahlrecht, der jäh in Tränengas und Blut erstickt wurde. Ein Stück Text und Musik von einer damals von Mingus selbst produzierten Platte, die aber mangels Cash nie in die Läden kam.

Der heutige Bassist der Mingus Band ist Andy McKee, er wird im August auch zwischen Köln und Berlin touren. Dann im Trio von Archie Shepp, dem Old School Politiker des New Thing in Jazz, der sein Saxophon einst zum Maschinengewehr des Vietcong erklärte. In Deutschland hat man ihn dafür immer umarmt. Jetzt hat er seinen Koffer wieder geöffnet, den Stuhl zum Publikum gerückt. Christian Broecking

Zweite Lieferung der monatlichen Jazzkolumne unseres Autors.

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