„Wir haben uns nie verstanden“

■ Das Bremer Amtsgericht verurteilte einen 23jährigen Mann wegen Körperverletzung und Nötigung an seiner Freundin zu 2.250 Mark Strafe

Am 22. 11. 1998 wird die Polizei in die Wohnung der 19jährigen A. und der 20jährigen B. – die Freundinnen leben seit sechs Monaten zusammen – gerufen. Sie konstatiert: B.s Matratze und Musikboxen sind aufgeschlitzt, B.s Videorekorder hat Dellen abbekommen, das Telefon seinen Geist aufgegeben. A gibt Folgendes zu Protokoll: Sie hatte Streit mit ihrem 23jährigen Freund C. Der warf sie zu Boden, trat auf sie ein. Ergebnis der Behandlung: eine Beule am Kopf, eine geschwollene rechte Wange. Außerdem habe C. das Bett – wohlgemerkt nicht von A., sondern von B. – nicht nur geschlitzt, sondern auch mit Ketchup verziert und soll bei der Gelegenheit auch gleich Bettzeug, Fotoapparat und 30 CDs von B. abgestaubt haben. Wenn schon ausrasten, dann kommt es auf einen kleinen Diebstahl auch nicht mehr an.

Nach dem unseligen Tag gab es noch mehrere Begegnungen: Man traf sich zu dritt, um die Sache unter sich zu regeln, vergeblich. Daraufhin soll C. den beiden Freundinnen gedroht haben. Irgendwann schenkte A. dem C. zum Geburtstag eine Karte. Irgendwie trafen sie sich auch sonst. Der traditionelle Zick-Zack-Tanz in schwierigen Beziehungen. Und C. erzählt sogar, daß A. in seiner Wohnung die Nacht zum 26.7.99 verbracht haben soll – weil A. relativ weit vom Amtsgericht entfernt wohnt, und man dort am 26.7. um neun Uhr früh gemeinsam seinen Gerichtstermin hat. Aber das ist nicht ganz so klar, denn der Verhandlungsraum im Amtsgericht ist viel zu dunkel, steril und groß für die leisen, brüchigen, verdrucksten Stimmen. „Bitte lauter“, muntert Richter Haberland auf.

Klar jedenfalls ist soviel. C. streitet alles ab: „Ketchup aufs Bett? Ich bin doch kein Psychokranker.“ Und wer hat dann die Wohnung verwüstet, will der Richter wissen. „Weiß nicht.“ Und dann der Argumentations-Klassiker: „Warum sollte A. in meine Wohnung kommen, wenn ich sie doch angeblich geschlagen habe? Natürlich haben wir manchmal gestritten, so um Kleinigkeiten, ganz normal eben...“ Diesen normalen Beziehungsalltag beschreibt A. so: „Wir haben uns nie verstanden.“ Dennoch erscheint der Tag X im Abstand in etwas milderem Licht: C. habe geschubst. „Das lasse ich mir aber nicht gefallen. Ich habe zurückgeschubst.“ Irgendwann war es aber doch A., die auf dem Boden lag mit blauen Flecken, allerdings ohne Beule und geschwollene Wange. Niemand will so recht herzhaft über den anderen herziehen. Vor allem will niemand in einer deutschen holzgetäftelten Behörde sein Seelenleben preisgeben.

In der kurzen Zeit – 75 Minuten bis zur nächsten angesetzten Verhandlung – gibt es ohne Vorgespräche und gründliches Nachbohren natürlich keine Chance, Licht in die Black Box des heiklen Tages zu bringen. Ein einmaliger Ausrutscher in einer schwierigen, an den Nerven sägenden Beziehung? Oder die ganz normale Gewalttätigkeit eines Mannes, der es für ein Naturrecht hält, über Frau zu herrschen? Immerhin hatte da jemand ein Messer – wenn auch nur für eine Matratze – in der Hand. Mit den etwas derben, etwas aseptischen Klingen des Gesetzes lassen sich aus dem weichen Fleisch der Beziehungsgeschichte immerhin fünf Vergehen heraussäbeln: Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung ... Das macht für C. 90 Tagessätze à 25 Mark. Immerhin nicht die 180 Tagessätze à 30 Mark, die die Staatsanwältin wollte. Schließlich war Urteilsgrundlage die Glaubwürdigkeit von A. und B., weil Aussage gegen Aussage steht. bk