Frankreich erstmals wegen Folter verurteilt

■ Europäischer Gerichtshof rügt schweren Verstoß gegen Menschenrechte in mehrtägigem Polizeigewahrsam. Pariser Regierung muß dem Opfer jetzt eine Entschädigung zahlen

Straßburg (AFP/taz) – Frankreich ist gestern vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstmals wegen Folter verurteilt worden, weil mehrere Polizisten 1991 einen aus Marokko stammenden Mann schwer mißhandelt und gedemütigt hatten. Die 17 Richter stellten einstimmig einen Verstoß gegen Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, der Folter sowie unmenschliche und entwürdigende Behandlung verbietet. Dem verbindlichen Urteil zufolge muß die Pariser Regierung dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet rund 150.000 Mark zahlen.

Der heute 57jährige Kläger, der die niederländische und marokkanische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde im November 1991 wegen mutmaßlicher Drogendelikte in Bobigny nahe Paris festgenommen. Während des fünftägigen Polizeigewahrsams wurde er mit einem Baseballschläger geprügelt und einen Tag lang mit einer Kette an einem Geländer gefesselt. Durch die Prügel erblindete der Mann auf einem Auge. Er wirft den Polizisten außerdem vor, ihn vergewaltigt und sexuell gedemütigt zu haben. Mehrere Polizisten hätten auf ihn uriniert, berichtete der Mann. Diese Behandlung werteten die Straßburger Richter als so „abscheulich und demütigend“, daß sie als Folter zu bezeichnen sei.

Die fünf beschuldigten Polizisten wurden 1994 identifiziert und erst 1997 unter Anklage gestellt. Im März dieses Jahres verurteilte ein Gericht in Versailles die Polizisten zu drei und vier Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Vor drei Wochen reduzierte ein Berufungsgericht die Haftstrafen, weil eine Vergewaltigung des Opfers nicht nachgewiesen werden könne, und setzte sie für vier der Polizisten zur Bewährung aus. Der fünfte erhielt eine Haftstrafe von 18 Monaten, davon 15 auf Bewährung.

Die franzöische Regierung hatte in dem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof erklärt, die erfolgreiche Zivilklage des Opfers gegen die Polizisten hätten das erlittene Unrecht des Klägers bereits wiedergutgemacht. Für das Gericht war eine Untersuchung allein jedoch nicht ausreichend. Diese müsse auch das Ziel haben, die Schuldigen schnell zu identifizieren und zu belangen. Das Verfahren gegen die Polizisten sei zu langwierig und uneffektiv gewesen, kritisierten die Richter. Damit habe Frankreich zusätzlich gegen Artikel sechs der Menschenrechtskonvention verstoßen, der jedem Bürger das Recht auf ein faires Verfahren in einem „angemessenen Zeitraum“ garantiert.

Der Anwalt des Opfers sagte, es sei betrüblich, daß ein internationales Gericht das Verhalten der französischen Justiz untersuchen müsse. Das Anti-Folter-Komitee des Europarats hatte bereits vor einigen Jahren bei einer Inspektionsreise eine Reihe von Fällen von Mißhandlung in französischen Polizeikommissariaten festgestellt. bd