■ Nach und nach erkennen die arabischen Staaten Israel an – weil es unbesiegbar ist und langfristig ein Machtfaktor bleiben wird
: Der Schwächere gibt nach

Ein hoffnungsvolles Gefühl begleitet die derzeitigen Friedensbemühungen im Nahen Osten. Das erinnert an den Herbst 1993. Damals, vor knapp sechs Jahren, reichten sich Jitzhak Rabin und Jassir Arafat die Hand und schworen, den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis künftig fried-lich regeln zu wollen – ein epochemachender Schritt, an den Ehud Barak jetzt anknüpfen will. Deshalb nennt Israels Regierungschef Arafat seinen „Partner“, mit dem er die „Landschaft dieser Region“ verändern will, und tauscht Nettigkeiten mit dem syrischen Präsidenten Hafis al-Assad aus.

Frieden mit Syrien – und damit auch mit Libanon – ist in greifbare Nähe gerückt. Bis spätestens November 2000 soll nach dem Willen Baraks alles unter Dach und Fach sein, der syrische Außenminister Faruk al-Sharaa sprach kürzlich gar von Wochen, innerhalb deren ein Friedensabkommen mit den Israelis möglich sei. Nach Ägypten und Jordanien hätten dann die letzten Frontstaaten das Existenzrecht des Staates Israels offiziell anerkannt. Andere arabische Staaten würden folgen.

Doch bei aller Euphorie: Eines sollte man nicht vergessen. Diese Anerkennung kommt nicht von Herzen. Sie ist vielmehr aus der Einsicht geboren, daß Israel militärisch unbesiegbar ist und daß es langfristig ein Machtfaktor im Nahen Osten bleiben wird. Pragmatismus, nicht Zuneigung hat die Araber zu Friedenstauben gemacht. Und auf den Straßen von Damaskus und Beirut wird es auch künftig Menschen geben, die von einem Sieg der Araber über das „zionistische Gebilde“ träumen.

Genau das macht aber viele Menschen im Westen mißtrauisch und läßt sie am wirklichen Friedenswillen der Araber zweifeln. Europäer und Amerikaner wollen einen herzlichen Frieden zwischen Juden und Arabern und nicht einen aus der Not geborenen. Die Araber sollen den Israelis nicht nur die Hand reichen, sondern sie auch umarmen. Sie sollen sich aus ganzem Herzen für ein Miteinander der beiden Völker aussprechen, und sie sollen das Leid anerkennen, das den Juden im Laufe der Jahrhunderte widerfahren ist.

Der Grund für dieses Harmoniebedürfnis liegt auf der Hand: Im Westen wird der Nahostkonflikt in erster Linie vor dem Hintergrund des Holocaust betrachtet, und die Vorstellung, Juden könnten erneut Opfer von Völkermord und Vertreibung werden, wiegt angesichts dessen doppelt schwer. Und solange die Araber ihren Haß gegen Israel nicht überwunden haben, so die Befürchtung, sei ein derartiger Völkermord in Zukunft nicht auszuschließen.

So verständlich diese Sichtweise ist: Sie erschwert eine Analyse des Konflikts, in der die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt werden. Ohne das wird man im Westen aber nie begreifen, warum die Anerkennung Israels für die Araber bereits ein großes Opfer bedeutet, und man wird nicht begreifen, warum sie sich gleichzeitig bislang nicht zu einem herzlichen Frieden mit Israel durchringen konnten.

Anders als es sich Europäer und Amerikaner wünschen, betrachten die Araber den Konflikt aus ihrer eigenen, einer nahöstlichen Perspektive. Und aus dieser Perspektive sind die Palästinenser die Leidtragenden. Sie verloren ihr Land an ein „Volk ohne Land“, ohne daß sie diesem Volk etwas angetan hätten. Palästinenser, aber auch Libanesen und Ägypter, erlebten die Israelis in den vergangenen fünfzig Jahren vorrangig als Besatzer und Soldaten und nicht als von humanistischen Idealen beseelte Siedler, die das Heilige Land zum Blühen gebracht haben. Sie kennen Israel nur als Sieger, der ihnen militärisch und wirtschaftlich überlegen ist und der überdies die mächtigeren Partner hinter sich weiß.

Die Araber fühlen sich als Opfer, nicht als Täter. Während sie der Westen fragt, ob sie auch wirklich Frieden wollen, stellen sich die Araber eine ganz andere Frage: „Warum sollen wir die Israelis lieben, wenn wir die Unterlegenen sind und überdies akzeptieren müssen, daß sie auf einem Stück Land leben, von dem sie uns einst verdrängten?“ Viel mehr als einen Frieden aus Pragmatismus kann man unter diesen Umständen kaum erwarten. Allein indem sie Israel 1993 anerkannten, setzten die Palästinenser einen Meilenstein in der Geschichte des Nahostkonflikts. Sie erkannten damit das Recht der Juden auf einen eigenen Staat an – auf einem Gebiet, das die Palästinenser selbst jahrhundertelang besiedelten und das sie nur unfreiwillig verließen. Sie erkannten das Recht der Juden auf einen eigenen Staat an, obwohl sie selber staatenlos sind und mehr als die Hälfte von ihnen im Exil lebt. All das zu einer Zeit, in der Siedlungspolitik in der Westbank weiterlief und es dadurch immer unwahrscheinlicher wurde, daß hier je ein unabhängiges Palästina entstehen würde (erwähnt sei, daß selbst unter Barak die Siedler weiter neue Häuser bauen, wenngleich nicht mit Unterstützung der Regierung).

Die Aufgabe ihrer angestammten Siedlungsgebiete war das größte Opfer, das die Palästinenser für den Friedensprozeß bringen konnten. Ob sie es aus Nächstenliebe oder Notwendigkeit taten, ist dabei zweitrangig. „Was zählt, ist das Verhalten“, wie es der syrische Philosoph Sadiq al-Azm einmal ausdrückte. „Solange sich Palästinenser und Israelis so verhalten, als wenn sie Frieden wollten, ist es unerheblich, ob sie es im tiefsten Inneren meinen. Wenn sie sagen: Das ist es, was wir im Moment bekommen können, wird vielleicht später eine andere Generation kommen, die aufrichtiger darüber denkt.“ Der Friedensprozeß zwischen Arabern und Israelis gleicht somit einer arrangierten Ehe: Die Liebe kommt, oder sie kommt nicht, je nach Behandlung.

Mit Ehud Barak als neuem Ministerpräsidenten wird sich das Klima im Nahen Osten zunächst weiter entspannen. Im Gegensatz zu Netanjahu ist er ernsthaft bemüht, mit den Syrern Frieden zu schließen. Was die Palästinenser betrifft, sollte sich der Westen allerdings keine Illusionen machen: In wichtigen Fragen unterscheidet sich Barak kaum von Netanjahu.

Auch er ist nicht bereit, über den Status von Jerusalem zu verhandeln, auch er will große Teile der besetzten Gebiete dauerhaft an Israel binden, um die Sicherheit der Siedler zu garantieren, und auch er wird nicht bereit sein, die Kontrolle über die Wasserreservoirs unter der Westbank an die Palästinenser abzugeben. Die Palästinenser werden sich also weiter als Bürger zweiter und dritter Klasse fühlen.

Jassir Arafat hingegen wird Ehud Barak mit mehr Respekt behandeln als sein Vorgänger. Er wird ihm vermutlich helfen, noch vor seinem Tod den langgehegten Traum zu verwirklichen, sich dereinst „Präsident von Palästina“ nennen zu dürfen. Für einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ist das jedoch nicht genug. Albrecht Metzger

Europa und Amerika wollen einen herzlichen jüdisch- arabischen FriedenAber manche werden weiter vom Sieg gegen das „zionistische Gebilde“ träumen