Paris sieht sich nur nationalem Recht verpflichtet

■ Nach dem Straßburger Urteil wegen Folter in Polizeihaft beharren die Verantwortlichen darauf, daß der Schuldspruch nicht bindend ist. Die Polizei mauert – aus Solidarität

Paris (taz) – Wer einmal eine Nacht angekettet an eine Heizung auf einer französischen Polizeiwache verbracht hat, verspürt eine gewisse Genugtuung, seit der Europäische Menschenrechtsgerichtshof den französischen Staat wegen Folter in Polizeihaft verurteilt hat. Die politisch Verantwortlichen hingegen stecken den Kopf in den Sand. Aus dem Innenministerium verlautet: Das europäische Urteil sei für die französische Justiz nicht bindend. Das Justizministerium erklärt, es kenne den Fall nicht ausreichend. Und SprecherInnen französischer Polizeigewerkschaften tönen, daß französische Polizisten nur dem französischen Volk und Recht verpflichtet seien.

Wie berichtet hatten die Straßburger Richter Frankreich am Mittwoch wegen Folter und Verschleppung des Justizverfahrens gegen die Polizisten verurteilt. Der Staat muß dem 57jährigen Ahmed Selmouni 500.000 Franc Entschädigung für die während seiner Polizeihaft im November 1991 erlittenen Schäden zahlen. Der niederländisch-marokkanische Mann verlor damals ein Auge sowie einen Zeh. Fünf Polizisten hatten ihn geschlagen, bespuckt, auf ihn uriniert und ihn mit einem Polizeiknüppel vergewaltigt.

Es handele sich um „körperliche und mentale Gewalt“ erklärten die Richter, „mit besonders schwerwiegendem und grausamem Charakter“. Frankreich, das 1992 in Straßburg wegen „schlechter Behandlung“ in Polizeihaft verurteilt worden war, ist erstmals wegen Folter verurteilt.

Für Menschen mit dunkler Hautfarbe und für Aktivisten linker Parteien und Gewerkschaften in Frankreich ist es nicht neu, daß manche französischen Polizisten foltern. Viele können aus leidvoller eigener Erfahrung von Schlägen, sexuellen Übergriffen und rassistischen Beleidigungen berichten. Mehrfach griffen Menschenrechtsorganisationen diese Vorwürfe auf. Unter anderem stellte das „europäische Komitee gegen die Folter“ 1998 fest, daß die Polizeigewalt sich hauptsächlich gegen Opfer, die aus Afrika und Nordafrika stammen, richtet.

Auch der Europarat erwähnte 1998 in einem Bericht die Polizeigewalt in Frankreich. Ein Sprecher der französischen Liga für Menschenrechte, sieht in dem Urteil „die logische Konsequenz der Abweichungen gewisser Polizisten“. Die Liga wiederholte gestern ihren Vorschlag, eine unabhängige französische Institution zu gründen, die derartige Menschenrechtsverletzungen verhindern soll.

Die französische Polizei reagierte wie zu erwarten. Sie mauert. Aus „Solidarität“ mit den fünf Folterpolizisten hatten bereits im März Tausende von Polizisten gegen das Urteil demonstriert, das die fünf zu Haft zwischen drei und vier Jahren verurteilt hatte. Inzwischen hat eine nächste Instanz das Urteil auf vier Bewährungsstrafen und eine dreimonatige Haftstrafe abgemildert. Dessen Vollstrekkung steht noch aus, weil der Fall in Berufung ist. Dorothea Hahn