Neuer Profispieler im Entschädigungs-Poker

■ Ausgerechnet ein Mann der Wirtschaft vermittelt zwischen NS-Zwangsarbeitern und der Industrie: Otto Graf Lambsdorff. Die Vertreter der Opfer sind gleichwohl optimistisch

Berlin (taz)– Es war ein Überraschungscoup von Schröder. Niemand ahnte, daß ausgerechnet Otto Graf Lambsdorff der neue Vermittler in den Verhandlungen für die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern durch deutsche Unternehmen werden sollte.

Just der ehemalige FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister, der wie kaum ein anderer Bundespolitiker enge Kontakte zur Wirtschaft hat und in zahlreichen Aufsichtsräten sitzt, vermittelt jetzt im Auftrag der Bundesregierung zwischen den Interessen der deutschen Industrie und der ehemaligen Zwangsarbeitern. Weder die Vertreter der Opfer noch die Grünen sind geschockt. Im Gegenteil. Sie setzen auf die Erfahrung und Professionalität des Elder statesman.

Mit dem Vorgänger Lambsdorffs, dem ehemaligen Kanzleramtsminister Bodo Hombach (SPD), waren einige Gesprächsteilnehmer nicht sehr glücklich. Weil Hombach zu viele Aufgaben habe bewältigen müssen, sei er häufig schlecht vorbereitet gewesen, hieß es von Beteiligten. Mit seinen Macherqualitäten habe er mangelndes Wissen kompensieren wollen. So „hemdsärmelig“ werde Lambsdorff sicher nicht auftreten.

Hohe Erwartungen werden an den 72 Jahre alten Lambsdorff geknüpft. Das ist dem FDP-Politiker bewußt. Jegliche Interviewwünsche lehnt er zur Zeit ab. Erst will er sich einarbeiten. Sein Auftrag ist klar. Für die Betroffenen soll er eine schnelle Lösung erreichen, für die Unternehmen Schutz vor weiteren Klagen in den USA, so die Bundesregierung.

„Mit ihm wissen wir, woran wir sind.“ Der Münchner Anwalt Michael Witti, der mehrere tausend Zwangsarbeiter vertritt, ist mit der Ernennung Lambsdorffs durchaus einverstanden. Witti geht zwar davon aus, daß Lambsdorff die Interessen der Industrie „im Auge behalten wird“, erwartet aber auch „sachgerechtes Verhalten“ von ihm. Vor allem aber rede Lambsdorff nicht um den heißen Brei herum, sondern bringe Dinge auf den Punkt, so der Anwalt.

Skeptischer ist Lothar Evers von der Beratungsstelle für NS-Verfolgte. Für ihn steht Lambsdorff eindeutig auf der Seite der Wirtschaft. „Aber ich lasse mich gerne überraschen.“ Evers hofft, daß Lambsdorffs enge Beziehungen zur Wirtschaft letztlich den Opfern zugute kommen. „Denn sein Urteil können die Industrievertreter nicht einfach vom Tisch wischen“, sagt Evers. Wenn Lambsdorff wolle, könne er der Industrie viel abringen.

Evers' Skepsis kommt nicht von ungefähr. Die sechzehn Unternehmen, die sich bislang an der Entschädigungsstiftung beteiligen wollen, sehen die Aufgabe der Bundesregierung eindeutig: „Die Regierung soll uns unterstützen und unsere Interessen vertreten“, sagte der Sprecher der Stiftungsinitiative, Wolfgang Gibowski. Und Lambsdorff sei der Leiter der Regierungsdelegation. Die Erwartungen der Industrie sind damit klar.

Volker Beck, der als Entschädigungsexperte der Grünen an den Verhandlungen teilnimmt, hält Lambsdorff indes für eine „gute Wahl“. Als Elder Statesman sei er für den Verhandlungsführer der USA, den stellvertretenden Finanzminister Stuart Eizenstat, ein respektabler Gesprächspartner.

Lambsdorffs Beziehungen zu Politikern in den USA und zu Eizenstat selbst sind vermutlich das größte Pfund, mit dem er wuchern kann. Seit mehr als zwanzig Jahren reist der FDP-Politiker regelmäßig in die Staaten, kennt viele Abgeordnete. Auch die Art amerikanischer Verhandlungsführung und das Rechtssystem der USA, in dem Milliardenklagen keine Seltenheit sind, sind ihm vertraut.

Von Lambsdorff wird vor allem erwartet, daß er die Verhandlungen schnell zu Ende bringt. „Zeit haben wir alle nicht“, sagt Anwalt Witti mit Blick auf das hohe Alter der Opfer. Eines kann Otto Graf Lambsdorff aber nicht mehr gelingen: die Stiftung wie geplant zum 1. September, dem 60. Jahrestag des Kriegsbeginns, ins Leben zu rufen (siehe Kasten).

Jutta Wagemann