„Die Leute werden auf Existenzfragen zurückgeworfen“

■ Die Schwankungen des Euro haben irrationale Gründe, die nichts mit der wirtschaftlichen Stabilität zu tun haben, sagt Thierry Vissol. Er ist in der EU-Kommission dafür zuständig, die Europäer psychologisch auf den Euro vorzubereiten

Thierry Vissol ist Koordinator der Kampagne „Euro facil“. Er leitet eine Abteilung der EU-Kommission, die sich seit 1996 mit der Frage beschäftigt, wie die Bevölkerung psychologisch auf den Euro vorbereitet werden kann. Psychologen, Soziologen, Vertreter der Handelsverbände und Verbrauchergruppen haben Informationsmaterial erarbeitet, das für Laien verständlich ist. Auf ihre Initiative geht die Idee zurück, für eine möglichst lange Phase doppelter Preisauszeichnung zu werben. Mit Hochglanzbroschüren, Computerspielen und Kreuzworträtseln bereitet Vissols Abteilung Europas Bürger auf den 1. 1. 2002 vor. Das „Talfahrt-Szenario“, daß der Euro unter einen Dollar fallen könnte, wird ausgespart.

taz: Bringen die Menschen dem Euro überall in Europa die gleichen Gefühle entgegen?

Thierry Vissol: Im Süden ist die Hauptsorge, daß man vom Einzelhandel übers Ohr gehauen wird. In Deutschland sagen die Leute: Der Euro ist doch nur eingeführt worden, damit wir die Schulden von Italien und Spanien bezahlen. Deshalb muß die Aufklärungsarbeit über praktische Informationen hinausgehen und sich der europäischen Identität annehmen. Je größer in einem Land die Vorbehalte gegen die europäische Idee sind – wie zum Beispiel in Holland –, desto größer sind die Vorbehalte gegen den Euro. Die Fragen in den verschiedenen europäischen Ländern ähneln sich: Was ist mit meinem Lohn, meinen Ersparnissen? Was bedeutet es für die Zukunft meiner Kinder? Letztlich werfen diese Währungsfragen den Menschen auf Existenzfragen zurück. Er muß sich mit seiner Identität und seiner Zukunft befassen.

Was antworten Sie einem Deutschen, der sagt, er befürchte, immer weniger Dollar für einen Euro kaufen zu können?

Dem antworte ich mit einer Grafik, die das Auf und Ab der beiden Währungen deutlich macht. Auch mit der Mark konnte man mal mehr, mal weniger Dollar kaufen. Mit dem Euro ist es genau das gleiche. Der einzige Unterschied: Als man Mark gegen Dollar hatte, war der Währungsraum so klein, daß jede Schwankung große Effekte auf die Zinsen und die Inflation in Deutschland hatte. Jetzt ist der Währungsraum so stabil, daß er weniger empfindlich auf Wechselkursschwankungen reagiert.

Wieso sind die Menschen dennoch verunsichert?

Die Leute denken immer noch im alten Kontext eines gemeinsamen Marktraums mit getrennten Währungen. 90 Prozent der Produkte, die die Deutschen kaufen, werden in Europa hergestellt. Verliert der Euro zehn Prozent gegenüber dem Dollar, haben Sie einen realen Kaufkraftverlust von einem Prozent. Da die Wechselkurse fest sind, ändert sich die Kaufkraft in Europa nicht, wenn der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Probleme könnten auftreten, wenn der Euro so weit fällt, daß die Europäische Zentralbank entscheidet: Wir heben die Zinsen an, um den Euro zu kräftigen. Das wäre gut für die Sparer, aber fatal für das Wirtschaftswachstum.

Für den Fall, daß das Vertrauen in den Euro europaweit sinkt – haben Sie einen Notfallplan für eine Aufklärungskampagne in der Tasche?

Die Kommission hat keinen eigenen Auftrag, Bürgeraufklärung zu betreiben. Hier gilt das Subsidiaritätsprinzip: Jedes Mitgliedsland ist selbst dafür zuständig, seine Bürger zu informieren. Wir haben keine Möglichkeit, zur Bild zu gehen und eine Werbekampagne für den Euro zu starten. Wir können lediglich Informationen zur Verfügung stellen oder Informationsmaterialien erarbeiten, damit andere sie aufbereiten und weitergeben. Aus der Geschichte weiß man, daß Vertrauen in eine Währung schnell verlorengehen kann. Haben Sie Instrumente, um das zu erkennen?

Es gibt keinen Währungsverfall. Der Euro ist stabil. Und es gibt rationale Gründe für den stabilen Euro-Kurs. Alle Mitgliedsländer des Währungsraums haben ihre öffentlichen Ausgaben und die Inflationsrate im Griff. Die Zinsen sind niedrig, und es gibt Zeichen für erwachendes Wirtschaftswachstum. Wir betreiben keine Katastrophenökonomie. Ein rational denkender Währungsfachmann wird sich jetzt nicht auf die Situation einstellen, daß der Euro auf einen halben Dollar fällt, weil es dafür keine rationalen Voraussetzungen gibt.

All das kann meine Großmutter nicht davon überzeugen, Euro in ihren Sparstrumf zu stecken.

Weil sie die Zusammenhänge nicht durchschaut. Kleine Währungschwankungen können irrationale Gründe haben. Große kommen nur zustande, wenn es dafür rationale wirtschaftliche Ursachen gibt. Mit anderen Worten: Wenn nicht gerade eine Atombombe auf Euro-Land fällt, bleibt diese Währung stabil. Interview: Daniela Weingärtner