Eine Gelegenheit für Selbstdarsteller

Für wenige Stunden ist Sarajevo heute wieder Mittelpunkt der Welt. Repräsentanten westlicher Industrienationen und Balkanstaaten wollen einen „Stabilitätspakt“ für den Balkan beschließen    ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Das letzte Mal, daß die Leute in Sarajevo so etwas erlebt haben, war beim Papstbesuch vor knapp drei Jahren: Die Stadt ist völlig lahmgelegt, die öffentlichen Verkehrsmittel stehen still, Autos dürfen nicht fahren, Werkstätten und Fabriken sind geschlossen, nur einige Restaurants und Cafés haben geöffnet. An jeder Kreuzung stehen bosnische Polizisten, gepanzerte SFOR-Fahrzeuge patrouillieren in den Straßen. Die Zufahrtswege zur Stadt sind gesperrt.

Die Sicherheitsmaßnahmen übertreffen alles bisher Bekannte. Nur 50 Taxis dürfen unterwegs sein. Die Bevölkerung läuft wieder – „wie schon während des Krieges“. Das sagt eine Frau, die den Weg von der Trabantenstadt Dobrinja in das 9 Kilometer entfernte Stadtzentrum in zwei Stunden geschafft hat.

Aber die Menschen murren nicht. Denn das Gipfeltreffen von 31 Staats- und Regierungschefs, auf dem heute ein „Stabilitätspakt“ für den Balkan beschlossen werden soll, bringt die Stadt wieder einmal in die Schlagzeilen. Sarajevo ist für wenige Stunden wieder Mittelpunkt der Welt. Und die Bevölkerung hofft, daß die dann einmal fließenden Gelder auch der Wirtschaft Bosniens auf die Sprünge helfen werden. Viele sind sogar stolz. „In 14 Tagen wurde dieses Treffen organisiert, in drei Tagen der im Krieg beschädigte Gebäudekomplex um die Zetra-Sporthalle wiederhergestellt“, sagt ein bosnischer Journalist.

In der Tat ist das Ergebnis dieser Anstrengungen erstaunlich. In nur wenigen Tagen wurden 1.000 Telefonleitungen gelegt, Computer und Fernseher installiert, Hunderte von Mitgliedern der Delegationen und Journalisten angesichts der nicht ausreichenden Hotelkapazitäten in Privatwohnungen untergebracht, Dolmetscher und sonstiges Personal rekrutiert. Hunderte Hostessen bemühen sich, die Gäste einzuweisen.

Sarajevo zeige, daß der Wiederaufbau vorangekommen ist, daß die richtigen Maßnahmen greifen können, sagt Carlos Westendorp, der bisherige Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, der jetzt seinen Abschied nimmt und den Stab an den österreichischen Diplomaten Wolfgang Petritsch abgibt. Das Abkommen von Dayton sei zwar noch nicht vollständig umgesetzt, man mache aber Fortschritte, auch bei der Flüchtlingsrückkehr. „Jetzt kommt es aber vor allem darauf an, die Wirtschaft der Region wieder aufzubauen“, erklärt Westendorp. Dann würden sich auch viele der politischen Probleme lösen. Endziel sei, die gesamte Region an die EU heranzuführen.

Die etwas selbstgefällige Darstellung der Erfolge der internationalen Verwaltung wird von 98 bosnischen Organisationen zurückgewiesen. Auf einer Veranstaltung im Vorfeld der Konferenz betonten die Initiatoren, die Bilanz nach viereinhalb Jahren sei nicht sehr ermutigend. Die meisten Flüchtlinge und Vertriebenen hätten immer noch nicht in ihre Heimat zurückkehren können, die Untersuchungen über die Kriegsverbrechen seien sehr schleppend verlaufen, noch immer befänden sich die Haupttäter Radovan Karadžic und Ratko Mladic auf freiem Fuß. Die Integration des Landes sei nicht vorangekommen, Bosnien-Herzegowina zerfalle in offiziell zwei, faktisch jedoch in drei Teile, die von den nationalistischen Politikern der drei Volksgruppen der Kroaten, Serben und Muslime beherrscht würden. „So hat der Staat keine Zukunft“, erklärte ein Vertreter der Flüchtlingsinitiativen.

Ob die Konferenz den gestellten Anforderungen gerecht werden kann, ist eher unwahrscheinlich. Denn auf dem Treffen, an dem nicht nur die westlichen Industriestaaten, sondern auch die durch den Krieg besonders in Mitleidenschaft gezogenen Anrainerstaaten teilnehmen – so auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman, die Vertreter Makedoniens, Albaniens, Rumäniens, Bulgariens –, werden wohl schon längst vorbesprochene Entscheidungen abgesegnet. Dafür spricht schon die Kürze der Veranstaltung, die schon am Abend beendet sein wird. Sie bietet aber den Politikern der Region und auch der großen Mächte eine willkommene Gelegenheit der Selbstdarstellung.

Daß der US-amerikanische Präsident Clinton erst heute vormittag eintrifft, hat mit Inszenierung zu tun. Erst dann wird der Gipfel beginnen können. Über die Höhe der Finanzhilfen drangen bisher nur unvollständige Informationen an die Öffentlichkeit. Die Geberländer scheinen aber zögerlich, nach der Militäraktion im Kosovo allzu tief in die eigene Staatsschatulle zu greifen. Die bisher von den EU-Ländern versprochenen Summen werden den Notwendigkeiten nicht gerecht. Mehr als 30 Milliarden Dollar müßten herausspringen, um dem „Marshallplan für den Balkan“ tatsächlich umzusetzen, erklärten Wirtschaftsexperten. Die Vorstellungen der Geberländer seien jedoch von dieser Summe weit entfernt.