In den Höhlen der Kommunisten

In den späten 60ern bombten die Amerikaner die laotischen Kommunisten in den Untergrund. Jahrelang lebten sie zum Schutz vor Angriffen in einem System aus Kalksteinhöhlen. 25 Jahre nach dem Ende dieses geheimen Kapitels des Vietnamkriegs sind ihre unterirdischen Führerquartiere, Theater und ein Krankenhaus westlichen Touristen zur Besichtigung freigegeben.  ■   Von Boris Karkowski

Nach seinem dritten „Beer Lao“ hat Karsten Borchert tiefgründige Einsichten zu verkünden: „In Laos bestimmen die Wasserbüffel das Tempo.“ Das Klischee mag abgegriffen klingen, auf das Leben in Vieng Xai, einem kleinen Ort nahe der vietnamesischen Grenze, trifft es heute zu. Wir sitzen auf einer wackeligen Holzterrasse, die in einen flachen Weiher hineinragt, und beobachten das Geschehen um uns. Kinder springen am anderen Ufer johlend kopfüber ins Naß, ein Mann schiebt sein Rad geduldig hinter zwei Büffeln den Lehmdamm entlang. Langsam senkt sich die Sonne nieder. Südostasien-Idyll wie aus dem Hochglanzfotoband.

Doch das schöne Bild hat Fehler. Entschärfte Handgranaten beschweren an manchen Holzhütten das leichte Bambusdach zum Schutz vor Windböen, in einigen Einfriedungen um die Reisfelder wurden die Holzpfähle durch brusthohe Bombenbehälter ersetzt. Auch dem Kampfmittelräumer Karsten Borchert aus Berlin geht nach einem Jahr in Vieng Xai die Arbeit nicht aus. Hunderte Blindgänger lauern in der weichen Erde um Vieng Xai.

Beinahe täglich zerreißt die Explosion einer reaktivierten Bombe die Stille. Meistens waren dann Borchert und sein Team am Werk. Doch immer wieder kommt ihre Arbeit zu spät, und ein Kind beim Spielen oder ein Bauer auf dem Feld hat die Zündung ausgelöst und sein Bein oder gar sein Leben verloren.

Die Blindgänger stammen aus einer Zeit, als nicht Büffel, sondern Bomben den Lebensrhythmus in Vieng Xai bestimmten. Von 1964 bis 1973 warfen amerikanische B-52 insgesamt 2 Millionen Tonnen Munition auf den Nordosten von Laos ab – mehr, als während des gesamten Zweiten Weltkriegs auf Deutschland gefallen sind. Eine halbe Tonne Sprengkörper wurde im Durchschnitt über jedem Mann, jeder Frau, jedem Kind in Laos verklappt.

Außerhalb der Region wußten damals nur wenige von diesem „Nebenschauplatz“ des amerikanischen Vietnamkriegs. Die gesamte CIA-Operation „The Other Theatre“ war bis 1970 von der US-Regierung geheimgehalten worden, weil das amerikanische Flächenbombardement ein klarer Verstoß gegen das Genfer Abkommen von 1962 war, in dem die Neutralität von Laos anerkannt worden war. Die USA fürchteten – frei nach Eisenhowers Dominotheorie –, daß sich der Kommunismus von Vietnam gen Westen bis nach Thailand ausweiten könnte. Außerdem führte die legendäre Versorgungsroute der vietnamesischen Kommunisten, der Ho-Chi-Minh-Pfad, durch Ostlaos. Die Kontrolle über das Gebiet hätte wahrscheinlich den Schlüssel zum Sieg in Süd-Vietnam bedeutet. Aber die strategisch wichtigen Gebiete lagen in den Händen der Rebellentruppe „Pathet Lao“, zu deutsch „Land der Laoten“.

Ursprünglich bestimmte der Wunsch nach kolonialer Unabhängigkeit deren Kampf. Doch durch die Ausbildung und das Engagement der beiden Führungspersönlichkeiten Kaysone Phomvihan und Prinz Souphanouvong in Ho Chi Minhs Kommunistischer Partei Indochinas wandten sich die Guerilleros zunehmend der kommunistischen Ideologie zu.

Seit 1953/54 hatten die Kommunisten die nordöstlichen Provinzen Hua Phan und Xieng Khouang unter ihrer Kontrolle und in Vieng Xai ihr Hauptquartier eingerichtet. Vieng Xai lag nicht nur strategisch günstig nah an der nordvietnamesischen Grenze, sondern bot mit seiner Landschaft voller Kalksteinfelsen einen wohl einmaligen Schutz vor Angriffen aus der Luft und zu Land.

Unterirdische Infrastrukturen

Wasser und Wind hatten über die Jahrtausende viele der Hügel so ausgehöhlt, daß in der Provinz etwa 600 natürliche Luftschutzbunker entstanden waren. In jahrelanger Arbeit schufen die Bewohner in den Höhlen eine unterirdische Infrastruktur mit Führungszentralen, einer Kommunikationsstation, Webereien, Druckereien, Schulen, einem Krankenhaus, Theatern und einer Werkstatt für bis zu 700 Fahrzeuge.

Erst im Herbst 1997 wurden einige der Höhlen auch für westliche Touristen geöffnet. Khone Phavan verspricht sich davon den Besuch vieler Abenteuertouristen. Die bleiben zwar noch aus, doch der junge Touristenführer ist bereits bestens auf Kundschaft vorbereitet. Obwohl er nie in den Hügeln gewohnt hat, weiß er wortreich vom Leben in den Höhlen zu berichten. Er leitet uns auf einem engen Pfad durch üppiges Grün, und erst als wir fast mit der Nase darauf stoßen, erkennen wir den versteckten Eingang zur Höhle des damaligen Pathet-Lao-Führers Kaysone.

140 Meter weit durch den Felsen zieht sich die Höhle, die mit Betonwänden und Sprengungen in mehrere Räume unterteilt worden ist. Doch Schlafräume, Versammlungs- und Strategieraum und die kleine Lesestube sind fast leer geräumt. Nur wenige einfache Stühle und Tische, verrostete Kochkessel und eine Plastik, die man nur mit viel Phantasie als ein Modell der Umgebung identifizieren kann, erinnern daran, daß hier Kaysone mit seiner Familie und engen Mitstreitern zehn Jahre hausen mußte. Kondenswasser tropft beständig von den Wänden, und der Rost hat die einstigen Wellblechdächer schon vor Jahren vollständig zerfressen.

Alles, was beweglich und nützlich war, ist aus den Höhlen entfernt worden. „Das wird gerade im Museum restauriert und dann in wenigen Monaten wieder zurückgestellt“, klärt uns Khone auf. Doch das haben Besucher auch schon vor einem Jahr gehört. Einen Blick werfen auf das Höhleninventar im Museum dürfen wir auch nicht. Ebenso streng verboten sind Fotos vom Höhleninneren. Als seien die Höhlen noch immer ein strenggehütetes militärisches Geheimnis.

In den sechziger Jahren waren die Laoten tief im Innern ihrer Kalksteinhöhlen einigermaßen sicher. Das Fußvolk floh in große Naturhöhlen, Kaysone in seinen Luftschutzbunker, in dem der handbetriebene Luftfilter aus der Sowjetunion noch heute vor sich hin rostet.

Einen Sachverhalt vernachlässigt Khone in seinen Erzählungen allerdings etwas: Ohne die Hilfe kommunistischer Bruderländer hätte der laotische Widerstand sehr wahrscheinlich kapitulieren müssen. Die Pathet-Lao-Kämpfer waren nicht nur von Nord-Vietnam ausgebildet worden, die gesamte 316. Division, über 70.000 vietnamesische Soldaten, Techniker und Berater, war 1969 in Laos stationiert. Weitere Hilfe kam von etwa 7.000 Chinesen – auch das ein eindeutiger Verstoß gegen das Genfer Abkommen.

Zehn Jahre lang war das Leben ein permanenter Ausnahmezustand, der den Bewohnern ein Höchstmaß an Ausdauer und Improvisationskunst abverlangte. Die Felder konnten nur im Schutz der Dunkelheit bestellt werden, wenn die Flieger wegen der Felsen keine Angriffe wagten. Mit Buschtrommeln warnten sich die Einwohner vor kommenden Luftangriffen. Und der Feind kam nicht nur aus der Luft. Um sich feindlichen Spähern nicht zu verraten, schnitten die Kommunisten ihren Hähnen die Stimmbänder durch, bedeckten helles Vieh mit Schlamm oder schlachteten es. Die meisten Tiere starben trotzdem durch die Bomben. Wahllos wurden Dörfer bombardiert, um nicht mit vollen Laderäumen zur Basis in Thailand zurückfliegen zu müssen. 50.000 Laoten sollen in diesen Kriegsjahren den Tod gefunden haben. Auch unter den Amerikanern war die Zahl der Opfer ungewöhnlich hoch. Über 400 der freiwilligen Piloten starben in dem Geheimkrieg: Bomberpiloten in Zivilkleidung und ohne Ausweis, in Flugzeugen mit falscher Kennung, über Gebieten abgeschossen, die sie offiziell nie überflogen hatten.

Ein Garten voller Orchideen

Die Höhle des „Roten Prinzen“ Souphanouvong, eines Halbbruders des in Vientiane regierenden Prinzen Souvanna Phouma, ist wieder leer, feucht und düster. Um so mehr genießen wir den Anblick des Gartens vor der Höhle: voller Orchideen, großer Pampelmusen und blauer Schmetterlinge. Souphanouvong ließ den Garten gleich nach dem Ende des Luftbombardements 1973 anlegen – ein Sinnbild der Freude über den endgültigen Auszug aus den Höhlen.

Nach ihrer unblutigen Machtübernahme Ende 1975 riefen die Kommunisten die Demokratische Volksrepublik Laos aus, Kaysone Phomvihan wurde zum Premier, Souphanouvong zum Präsidenten ernannt. Vieng Xai erhielt seinen heutigen Namen: „Stadt des Sieges“.

Sind die Unterschlüpfe der früheren Pathet-Lao-Führer relativ leicht zugänglich, liegt die wohl interessanteste Höhle verborgen auf dem Weg nach Vietnam. Mit der Machete bahnt uns Boune, ein Lehrer aus dem nahen Dorf, einen Weg durch dichtes Grün, stemmt plötzlich eine schwere Stahltür auf. Wir betreten einen betonierten Saal, von der Decke tropft wieder Wasser. Überall liegt der Schutt zerborstener Waschbecken herum, in den Boden eingelassene Abwasserleitungen sind aufgerissen. Wir sind in der Krankenhaushöhle, die in Kriegszeiten bis zu 150 Schwerverletzten gleichzeitig Unterkunft bot. Vorsichtig tasten wir uns im Schein der Taschenlampe in weitere Räume vor, deren Wände noch immer vollständig gekachelt sind. Unter dem Schuh knirschen Hunderte verstreuter Ampullen mit verwaschenen chinesischen Etiketten, in einer Ecke liegen Röntgenplatten achtlos auf einem Haufen. In einem der früheren Operationsräume steht noch der Sockel eines Operationstisches – mit der Plakette „Made in Hungary“. Das Hospital zieht sich durch zwei Hügel, die Anfahrtrampe für Krankenwagen an der Rückwand ist mittlerweile zugewachsen. Einen Felsen weiter wurden die Leichen beigesetzt. Unglaublich mutet die organisatorische Meisterleistung an, ein so großes Krankenhaus – unter permanenter Bombardierung – im Innern eines Berges zu betreiben.

Wie deprimierend ist dagegen der Zustand der Krankenhausgebäude vor den Höhlen, die nach 1975 dort errichtet worden sind! Die meisten Betonbauten stehen heute leer, dem Verfall preisgegeben. Nur in einem Raum liegen ein paar umgestoßene Tische, steht eine alte Waschtrommel – der Klassenraum der Dorfschule, in der Boune für 10 Dollar im Monat unterrichtet.

In den 25 Jahren nach Kriegsende hat die kommunistische Regierung die katastrophale Wirtschaftslage kaum verbessern können. Auch seitdem Kaysone 1986 das Ende der Isolation eingeleitet hat, beträgt der Anteil der Entwicklungshilfe noch immer 20 bis 30 Prozent des nationalen Haushalts, überstieg die Inflationsrate im vergangenen Jahr 100 Prozent.

Für Unruhe im Volk hat das aber bislang kaum gesorgt. Nur der Journalist Phoumi klagt am Abend bei einer Dose Sprite seinen Unmut. „Ich werde aufhören mit meiner Arbeit. Ich weiß, daß die Politiker Unsinn reden, und doch muß ich es wortwörtlich wiedergeben. Da bin ich wie ein Hund, der nicht jagen darf!“ Gewagte Töne in der „Roten Stadt“ Vieng Xai.

Anreise: Flug ab Vientiane nach Xam Neua mit Lao Aviation, von deren Benutzung die Deutsche Botschaft abrät, von Xam Neua mit dem Wagen 30 km nach Vieng Xai. Oder mehrtägige Anfahrt von Luang Phabang oder Phonsavan mit Boot, Pick-up und Laster-Bus.

Literatur: Joe Cummings: „Laos, Lonely Planet“. 1998, 352 Seiten, zirka 30 DM; Roger Warner: „Shooting at the Moon. The Story of America's Clandestine War in Laos“. Steerforth Press 1996, zirka 34 DM; Joseph J. Zasloff, Leonard Unger: „Laos: Beyond the Revolution“. St. Martin's Press 1990, 348 Seiten, zirka 94 DM