Trippelschritt und Stirnband

■ Sieben Schauspieler sitzen aufrecht auf Baumstümpfen und blicken starr geradeaus: Die Ballade vom Narayama im Tacheles

„Die Ballade vom Narayama“ kannte kaum einer, doch die Ankündigung ihrer Uraufführung versprach Großes. „Barbara Nüsse und Meret Becker bespielen die große Bühne in Kimonos.“ Hohoho. Wenn das kein Grund ist. Man hat die beiden ja schon in vielem und auch ohne manches gesehen, aber Kimonos ließen doch sommerliche Extravaganz erwarten. Kein Wunder, dass das kleine Amphietheater um die Open-Air-Bühne hinter dem Tacheles am Samstag Abend ausverkauft war.

Der Berg Narayama ist ein heiliger Berg in einer einsamen Gegend Japans. Hoch oben, über seinen nächtens vom Mondlicht erleuchteten Reisfeldterrassen lebt Gott. Was er dort den lieben langen Tag treibt, ist unbekannt. Nur soviel ist klar: Gott schätzt es nicht, wenn man zu spät kommt. Wenn der Mensch 70 wird, will er ihn bei sich haben. Die alte Frau (Barbara Nüsse! Im Kimono!) weiss das, und deswegen bereitet sie sich im 52. Jahr nach ihrem 17. Geburtstag schon auf die Reise zum Gipfel vor. Heute zum Beispiel hat sie sich ihre Zähne am Mühlstein ausgeschlagen. Niemand soll glauben, sie wolle weiter lustig Körner in sich hinein mampfen.

Geschichten um die Aussetzung der Alten reichen in Japan von den Sagen der Nara-Zeit des 8. Jahrhunderts über Nô-Spiele des 12. bis hin zu Verfilmungen im 20. Jahrhundert. Die seit Jahren in Deutschland lebende japanische Bühnenbildnerin und Regisseurin Kazuko Watanabe hat mit der Musikerin Ulrike Haage dieser Liste nun ein asiatisch-europäisches Musiktheaterstück hinzugefügt. Unnötigerweise, wie man sagen möchte. Denn nicht allein Meret Becker im Kimono ist dort zu sehen, sondern auch sieben weitere deutsche Schauspieler, die weiblicherseits im Trippelschritt und männerlicherseits durch ein schnittiges Stirnband ihren Ying-Yang-Anteil zur Schau stellen. Wenn sie nicht im Rampenlicht stehen, sitzen sie aufrecht auf Baumstümpfen und blicken so starr geradeaus, wie es nur Samurai können. Und das, obwohl mit Masayuki Sionoya ein Schauspieler auf der Bühne ist, der in drei kurzen Auftritten deutlich macht, dass japanisches Spiel eher auf konzentrierter Präsenz beruht.

Was Watanabe mit dieser Inszenierung will, bleibt unklar. Weder zeigt sie das Fremde als das Andere, noch adaptiert sie es in eine für uns relevante Version. So wirkt das Stück mal wie eine peinliche Imitation, mal erweckt es durch den Wechsel zwischen Otto Sanders sonorer Erzählstimme vom Band und den illustrierenden Spielszenen Kindertheaterassoziationen. Die Kompositionen von Haage (Rainbirds) klingen dann wie pathosgeladener Grips-Rock, den Alexander Hackes zwischen Konstantin Wecker und Joe Cocker changierendes Orientknödeln keinesfalls cooler macht. Auch hier sind die einzig überzeugenden Momente jene, in denen Hideki Ikegami und Kosho Hiroyama unbeirrt auf Trommel und Biwa spielen.

Den Rest der langen zwei Stunden sitzt man vor der großartigen Tachelesruine und nehme sich den Rat des Alten Mannes zu Herzen: „Statt sich um nichtige Dinge zu kümmern, sollte man lieber ein Glas billigen Sake trinken.“ Das ist östliche Weisheit. Da lächelt der Berliner Mond.

Christiane Kühl

Bis 31. August, Do. bis So. 20.30 Uhr, Open-Air-Bühne hinter dem Tacheles, Oranienburger Str. 53 – 56, Mitte