Italiens Radikale erfinden die Welt neu

Gemeinsame Fraktion mit Frankreichs Neofaschisten im Europaparlament sorgt für helle Aufregung bei Italiens unkonventionellster politischer Partei. Führer Pannella reagiert mit Geschichtsklitterung    ■ Aus Rom Werner Raith

Ein heftiger Krach ist in Italiens Radikaler Partei (PR) ausgebrochen: Der Beschluss der Europaparlamentarier der Partei, in die neue so genannte „Gemischte Fraktion“ des Straßburger Parlaments einzutreten, in der auch die französische Front National (FN) zugegen ist, hat auf einem PR-Kongress am Wochenende zahlreiche heftige Reaktione provoziert. Der Präsident der Partei, Bruno Zevi, rief den Delegierten zu: „Wie könnt ihr es nur wagen, euch mit diesen Leuten einzulassen und immer noch zu behaupten, dass ihr für Menschenrechte und Gleichheit aller Menschen seid!“

Marco Pannella, 69, vor fast 35 Jahren Mitbegründer der Radikalen Partei und immer noch ihre Graue Eminenz, und ihre derzeitige Galionsfigur, die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino, halten dagegen: „Es ist ein rein taktischer Entschluß. Nur in dieser Fraktion können wir unsere Idee europaweit zu Gehör bringen.“ Nachdem Zevi angemahnt hatte, „nicht dem Teufel die Hand zu geben, nur weil man sich einen kurzfristigen Vorteil erwartet“, setzte Pannella noch eins drauf: „Aha – wenn wir mit den Kommunisten oder ihren Nachfolgern, den Verantwortlichen des Holocaust also, einen Pakt geschlossen hätten, dann wärt ihr einverstanden, mit den Enkeln der Faschisten aber dürfen wir es nicht.“

Nach Ansicht nahezu aller Kommentatoren sind Pannella und Bonino derzeit dabei, die enorme Welle der Wählersympathie zu verspielen, die sie bei den Europawahlen eingeheimst hatten. Aus dem Stand heraus hatten sie mit einer rein auf Bonino zugespitzten Kampagne über 8 Prozent errungen. Pannella ficht derlei allerdings wenig an: Wie die Volkstribunen im alten Rom hat er seit je seine Politik mit wenig Geld und oft auch wenig persönlichem Einsatz ausschließlich per Provokation in Szene gesetzt.

Mal hielt er einen öffentlichen Hungerstreik ab (von vielen als „Pannellas Frühjahrskur“ verspottet), mal verteilte er Haschisch-Päckchen, um sich verhaften zu lassen (wonach er, als Parlamentarier unantastbar, gleich wieder freigesetzt wurde), dann ließ er den wegen terroristischer Gewalttaten verurteilten Linksradikalen Toni Negri auf seinen Listen kandidieren, um ihn so aus dem Knast zu holen (um dann, als das Parlament über dessen erneute Inhaftierung entscheiden mußte, für den erneuten Arrest zu stimmen), vier Jahre danach zog er mit dem Porno-Starlett Cicciolina durch die Lande und verschaffte ihr einen Parlamentssitz (wobei er sich dann allerdings zähneknirschend dareinfügen mußte, dass die Abgeordnete nicht sofort ihren Sitz zugunsten eines anderen Protegés Pannellas zurückgab).

So ist wahrscheinlich Pannellas neuer Schritt in Richtung Le Pen auch vor allem als Gag gedacht. Dabei hat er möglicherweise nun doch überzogen – in der Partei ist eine ansehnliche Anzahl linker Aktivisten tätig, dazu zahlreiche Juden, die sich, wie Präsident Zevi, ganz bestimmt mit der Rechts-Allianz nicht abfinden werden. „Dass wir“, so ein Militanter im Rundfunk, „nun bei den Rechtsradikalen gelandet sind, während die ehemaligen Neofaschisten sich langsam, aber sicher von der grauenvollen Fascho-Vergangenheit gelöst haben und bürgerliche Anerkennung finden, ist der Gipfel der Perversion.“