Gelassene Abrechnung des Siegers

■  Vier Monate nach Lafontaines Rücktritt kritisiert Bundeskanzler Gerhard Schröder erstmals den ehemaligen Parteivorsitzenden – in versöhnlichem und verständnisvollem Tonfall. „Bis heute kenne ich nicht sein Motiv.“

Berlin (taz) – Schröder, der Gute – Lafontaine, der Böse. Mit diesem Fazit hat Gerhard Schröder am Wochenende eine Männerfreundschaft endgültig beendet, die einmal die prominenteste Deutschlands war. Oder vielmehr als solche propagiert wurde. Den Bruch des politischen Machtbündnisses hatte Oskar Lafontaine im März mit seinem überraschenden Rücktritt vollzogen. Damit ohrfeigte er zwar den Bundeskanzler, aber letztlich blieb dem damaligen Finanzminister und SPD-Parteivorsitzenden nur der Rückzug ins politische Nichts. Schröder hatte das Duell gewonnen. Mit der Souveränität des Siegers servierte er Lafontaine nun noch einmal ab.

„Wenn man gemeinsam etwas erreicht hat, stellen sich, jedenfalls für mich, Loyalitäten ein, auf die ich auch wirklich geachtet habe“, sagte Gerhard Schröder dem Spiegel. Seine Kritik ist deutlich, hat aber einen versöhnlichen Ton. Mitnichten hat der Kanzler es nötig, auf seinen einstigen (wirtschafts-)politischen Konterpart einzuhauen. Die Auseinandersetzung mit der Bundesbank um die Senkung der Leitzinsen habe er zwar „immer für unsinnig gehalten“, sagt Schröder. Aber etwa zur Neugestaltung der Arbeitslosenversicherung habe Lafontaine „viel weitergehende Vorschläge gemacht“ als die SPD jetzt mit ihrem Sparpaket insgesamt einfordere. Großzügig wie ein Vater mit seinem ungezogenen Sohn stellt sich Schröder dar.

Dennoch rechnet er ab. Sicher habe Lafontaine weitreichende Ideen gehabt, aber „aus dem Bauch“, bemerkt Schröder scheinbar beiläufig. Ihre Beziehung habe ihn unfreier gemacht. Aus Loyalität habe er sich auf Kompromisse eingelassen, so Schröder, „die man besser nicht gemacht hätte“.

Vier Monate mussten vergehen, ehe Schröder solch deutliche Worte fand. Vielleicht wollte er Lafontaine aus der Reserve locken. Denn bis jetzt habe der ehemalige saarländische Ministerpräsident jegliches Gespräch abgelehnt. „Bis heute kenne ich nicht sein Motiv“, bedauert Schröder.

Vermutlich weiß kaum jemand so gut wie er, was Lafontaine zu dem Rücktritt bewogen hat. Das schlechte Mannschaftsspiel hatte Lafontaine drei Tage nach seinem spektakulären Abtritt aus Bonn beklagt. Seit die Männerfreundschaft des Niedersachsen mit dem Saarländer öffentlich inszeniert wurde, sprachen viele von der Selbstverleugnung Lafontaines. Nach seinem Wahldebakel 1990 wollte der Saarländer 1998 ins Kanzleramt – und musste hinter den strahlenden Landtagswahlsieger aus Niedersachsen zurückstehen. Dann trug Lafontaine Schröders Wortgeklingel um die Neue Mitte mit, wohlwissend, dass nur so die bürgerlichen Wähler zu gewinnen waren. Als Kanzler machte Schröder dann von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Lafontaine konnte sich nicht durchsetzen. Sein Rücktritt war die logische Konsequenz.

Die Parteilinke muckt in diesen Tagen erstmals seit dem Abtritt ihres Protagonisten Lafontaine auf. Doch Schröder ist nicht so leicht aus dem Sattel zu werfen. Großzügig gewährt der Kanzler im Spiegel Lafontaine Zeit, um seine Memoiren zu schreiben. Sie sollen am 12. Oktober erscheinen. Erwartet wird eine Abrechnung mit Schröder. Die letzte Landtagswahl in diesem Jahr ist dann vorbei. Das weiß der Kanzler. juw