Bei uns erfahrt ihr alles

■  Der Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger über den Niedergang der klassischen Jugendzeitschriften und den Aufstieg der Soap-Beihefte

Benno Hafeneger ist Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg.

taz: „Bravo“ & Co. verlieren dramatisch an Auflage, doch Nebenprodukte von Seifenopern wie „Marienhof“ oder „GZSZ“ – die ja selbst nur Rahmenprogramm für Werbung sind – erfreuen sich nennenswerter Auflagenzuwächse. Lässt sich diese Entwicklung auf den gesteigerten Fernsehkonsum von Jugendlichen zurückführen?

Hafeneger: Jede Generation hat ihre eigenen Leitmedien. Früher war diese Position von der Bravo zentral besetzt, heute konkurrieren Printmedien eben mit dem Fernsehen. Und das sorgt mit schnellen Bildern für ein „Grundrauschen“, bietet Geschichten und Personen, an deren Niederlagen und Triumphen die jugendlichen Zuschauer unmittelbar teilhaben. Insbesondere Seifenopern bieten den Zuschauern eine parallele Lebenswelt, in der sie sich sogar kleinste Gesten abgucken können.

Wozu braucht es dann noch zusätzlich Zeitschriften wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Marienhof“?

Serien gehen ja verhältnismäßig öffentlich über den Bildschirm. Magazine wie GZSZ“ dagegen kann ich auch mit ins Bett nehmen, sie bieten die Möglichkeit eines Rückzugs ins Private und gestatten „intimere“ Einblicke in die Welt der Serienhelden und Stars. Es ist interessant, zu beobachten, wie traditionelle Zeitschriften mit dem enorm gewachsenen Bildangebot konkurrieren und welcher neue Medienmix angeboten und gebastelt wird.

„Bravo“ setzt deshalb auf Hintergrundinformationen und investigative Enthüllungsgeschichten und fragt schon mal: „Wie echt ist Britneys neuer Busen?“

Enthüllungsjournalismus ist hier immer auch problematisch, da er die Welt entzaubert. Jugendliche wollen ihren Idolen lieber sympathetisch nachempfinden, nicht rational nachspüren.

Das Credo etablierter Jugendtitel – „Bei uns erfahrt ihr alles über ...“ – vernachlässigt das veränderte Rezeptionsverhalten einer Zielgruppe. Schließlich lässt der „Cliffhanger“ am Ende der Sendung auch alle Fragen offen.

Was ist zu dem Einwand zu sagen, es gebe einfach keine Stars mehr? Ein Oli P. beispielsweise tanzt ja auf beiden Hochzeiten, tritt in Soaps auf und benimmt sich wie ein Popstar.

Vorsicht! Die neuen Stars kommen bestimmt. In einem halben Jahr werden wir uns wundern, wie viele neue Helden es geben wird. Früher beeinflussten Figuren wie Peter Kraus oder Conny Froboess noch ganze Generationen, heute dagegen haben wir es mit einer Pluralisierung des Angebots und damit der Welten zu tun.

Das ist es, was Jugendliche gerade in der Pubertät umtreibt: Die Suche nach Bildern, die Welt sind. Dabei dürfen wir die Medienkompetenz der Jugendlichen nicht unterschätzen. Sie sind schließlich von Kindesbeinen an mit einem medialen Überangebot konfrontiert und wissen durchaus, in diesem Dschungel ihre Schneisen zu schlagen. Das Ergebnis ist eine kulturelle Subjektivierung der Lebenswelt, in der wir es mit einer hochgradigen Differenzierung von Kultfiguren und Stars zu tun haben.

Ist es ein Alarmzeichen, wenn Jugendliche ein dezidiert journalistisches Angebot nicht mehr annehmen?

Überhaupt nicht. Hier sollte sich die Wissenschaft vor Kulturpessimismus hüten und sich mehr in Gelassenheit und anteilnehmender Neugierde üben.

Dem „Verfallsmythos“ widerspricht beispielsweise die Tatsache, dass Jugendliche sehr wohl um die Fiktionalisierung ihrer Lebenswelt wissen und dazu eine ironisierende Distanz entwickelt haben. Spannend ist die „Bricolage“, das Arrangement, das sich Jugendliche aus dem unüberschaubar heterogenen Angebot selbst zusammensetzen. Interview: Arno Frank