: Auge weit auf
Kubrick vor Kubrick: Die Kunsthalle zu Kiel zeigt das fotografische Frühwerk des perfektionistischen Zyklopen ■ Von Britta Peters
Bevor der gebürtige New Yorker als Regisseur zu Weltruhm gelangte, war Stanley Kubrick Fotograf. Wäre er dabei geblieben, so lässt sich jetzt anhand der Wiederveröffentlichung seiner Fotos spekulieren, würde man ihn heute genauso kennen. Stanley Kubrick, würde man sagen, dass ist doch der, der bereits als 17-Jähriger für die amerikanische Illustrierte Look die Stars fotografiert hat, der den Magazinlesern Bilder von Armut und Arbeit in der Großstadt vors Auge brachte und dessen teils dokumentarische, teils inszenierte Reportagen durch Komposition und Psychologie zu überzeugen wussten. Kurz, man würde ihn schätzen, weil er auch als Fotograf großes dramaturgisches Talent besaß.
Seine inszenierte Story zum Thema „Teenager und erste Liebe“ zeigt ein kleines Mädchen an der Hand eines erwachsenen Mannes, eine junge Frau, die mit Lippenstift „I hate love“ an die Wand schmiert, zwei Mädchen, die mit ihren Katzen schmusen und schließlich eine Kindfrau, die, während sie auf der Straße geht, von einem smarten, älteren Verehrer aus dem Auto heraus angesprochen wird. Diese Szene wirkt vertraut: Das ist Lolita, zwölf Jahre, bevor Kubrick sich durch die Verfilmung von Nabokovs Roman jede Menge Ärger einhandelte. Spätestens bei der Betrachtung dieser Bilder wird klar, was für ein Glück es ist, dass Kubrick seit 1951 seine ganze Energie ins Regie führen investiert hat.
Kubrick selbst scheint die Bedeutung seiner ersten Karriere ganz ähnlich gesehen zu haben. Als eine bestimmte Phase in seinem Leben und als eine gute Übung für das, was danach kam. Davon zeugt auch seine Reaktion auf den Wunsch der Gruppe um den Münchner Hochschulprofessor Rainer Crone, seine Fotos auszustellen. Er ermunterte sie freundlich, ihr Glück zu versuchen. Nur Material zur Verfügung stellen, das könne er leider nicht, Negative habe er nie besessen.
Gut 800 Abbildungen haben die Studenten des ICCARUS (International Center for Curotorial Studies) in den Archiven des Look-Magazins ausfindig gemacht, für das Kubrick ausschließlich fotografiert hat. Für die Wanderausstellung Still Moving Pictures – Fotografien 1945 – 1950 wurden 27 Reportagen ausgewählt, gezeigt werden die Bilder als digital überarbeitete Abzüge. Die Kunsthalle zu Kiel präsentiert jedoch nur etwa zwei Drittel der Schau: Wer alles sehen will, muß auf den Katalog zurückgreifen.
Schade ist, dass weder in der Ausstellung noch im Katalog die Originalseiten und –texte aus Look zu finden sind. Den Fotostories sind kurze Zusammenfassungen vorangestellt, die quasi die Essenz der journalistischen Reportage vermitteln sollen. Dadurch erhält die Ausstellung einen didaktischen Touch, den sie gar nicht nötig hat. Überhaupt scheint man mit den Still Moving Pictures unter einem unbegründeten Rechtfertigungsdruck zu stehen. Darauf deutet der Versuch des Kurators Crone, den Namen Kubrick nahtlos an die Größen der Fotografiegeschichte anzuhängen, ebenso hin wie die von anderen Katalogautoren zum Teil recht gewaltsam hergestellten Bezüge zu seinen Filmen.
Wer mit hohen Erwartungen nach Kiel fährt, wird enttäuscht. Wer dagegen ganz entspannnt einen Ausflug macht, wird zweifach belohnt: Erstens, weil es trotz aller Kritik eine interessante Ausstellung ist, und zweitens, weil es in den unteren Räumen noch zeitgenössische Kunst zu sehen gibt. Die Ausstellung Unsichere Grenzen, unter anderem mit Arbeiten von Ron Mueck und Tony Oursler, greift ein echtes Milleniumsthema auf: Wo liegen die Grenzen zwischen Natur und (Gen-)Technologie, zwischen sozialer Realität und Science-Fiction, Gegenwart und Traum?
Stanley Kubrick: Still MovingPictures – Fotografien 1945-1950 Unsichere Grenzen, Kunsthalle zu Kiel, bis 29. August
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen