Paris wird gerade erst erfunden

Erzähl mir was über die Liebe: „Louise (Take 2)“ ist ein französischer Debütfilm von – ausgerechnet – Siegfried  ■   Von Anja Seeliger

Louise (Elodie Bouchez) schenkt ihr Lächeln jedem. Mit dem schwarzen Haar und der weißen Haut irrlichtert sie zwischen Björk und Geraldine Chaplin und ist doch ganz unverwechselbar. Wegen dieses Lächelns. Es ist ein ansteckendes Lächeln. Es drängt nicht nach Erfüllung, es fordert nicht einmal Erwiderung. Louises Lächeln hat etwas Komplizenhaftes, als teile sie einen geheimen Spaß mit dem Angelächelten, der sich beglückt und verdutzt fragen mag, was für ein Spaß das wohl sein könnte.

Rémi (Roschdy Zem) verliebt sich sofort in sie. Das ist ganz unvermeidlich. Denn wenn er mit Louise, ihrem Liebhaber Yaya und dessen Bande durch Paris zieht, dreht sie sich immer mal wieder um und – lächelt. Das ist nicht kokett, aber doch mehr als nur charmante Höflichkeit.

In einem anderen dieses Gefühl zu wecken, dass er in der Masse bemerkt wird, ist übrigens auch eine Spezialität von Rémi. Er ist ein Rumtreiber, ein Tramp, einer, der Frauen anspricht – und den die Frauen mögen. Gespielt wird er von Roschdy Zem, und er ist der Einzige, der den Blick von Elodie Bouchez ablenken kann. Zem, dessen arabische Herkunft unverkennbar ist, lehnt seinen schlaksigen Körper gegen Wände, wie es nur jemand kann, der in seinem Körper ganz heimisch ist. Dies und sein Gang, ein kräftiges Ausschreiten mit nach außen gedrehten Füßen, lässt einen mehr als einmal an Cary Grant denken.

Louise und ihre Freunde ziehen durch Paris – die Metrostationen, die Parks, die Straßen, meistens verfolgt von irgendwelchen Ordnungshütern, denn Yaya und seine Bande leben von Diebstahl und Raub. Wie viele solcher Filme wurden wohl schon in Paris gedreht? Es müssen hunderte sein. Und doch: Soweit es diesen Film angeht, hat er jugendliche Streuner, die Liebe und Paris gerade erst erfunden. Der Regisseur von „Louise (Take 2)“ ist Franzose, auch wenn er Siegfried heißt. Aus seinem Nachnamen macht er ein Geheimnis. Das Presseheft teilt nur mit, dass er viel gereist ist, fotografiert und Musik macht. Und dass er 25 Jahre alt ist. Das erklärt die unverschämte Antwort auf die Frage, wie er denn filme: „Du nimmst die Kamera und rennst.“

Das ist eine glatte Lüge. Siegfried hat alles genau durchdacht: wann die Kamera wackelt, wann die – selbst komponierte – Musik einsetzt und welche Kleider seine Darsteller tragen. Zu Beginn des Films sieht man die schwarzhaarige Louise aus der Metro aussteigen. Das Rot ihrer dicken Daunenjacke und Orange ihrer Weste beißt sich wundervoll mit den Rot- und Orangetönen der gekachelten Wände in der Station. Wenn Louise mit den anderen rennt, schleudern ihre Kleider rote und orange Blitze über den Film. Ein anderes Mal steht die Gruppe auf einem Dach, Louise in der Sonne, die Jungs von hinten im Gegenlicht gefilmt wie die Schatten in Platons Höhle. Anders als die Dogmafilmer setzt Siegfried seine nicht unbeträchtliche Intelligenz ein, um zu zeigen, daß Schönheit kein Verrat an der Wahrheit ist.

Louise, die aus einem bürgerlichen Haushalt kommt, liebt die Aufregung der Raubzüge, die sie „wie eine Welle“ trägt. Rémi schläft auf einer Parkbank, weil er die Sterne und den Mond liebt. Yaya hat ganz andere Wünsche: „Versprich mir, dass ich in einem Lacoste-Anzug beerdigt werde, wenn ich sterbe“, bittet er Louise, bevor er sich auszieht. Klingt wie die neue Mitte, nein? Natürlich nicht. Viel zu viel Energie.

Louise stiehlt ein Kleid, verkauft Shit in anderen Metrostationen, wird barsch von einem Bettler angehalten: „Nimm das Geld zurück. Los, nimm es.“ Er bittet nicht, er verlangt, dass sie seinen Sohn sucht. Louise geht zur Schule und holt ihn ab. Seine Mutter kommt manchmal die ganze Woche nicht. „Sie ist eine Hure“, flüstert er später Rémi ins Ohr. „In der Schule nennen sie mich immer 'Hurensohn‘.“

Als Louise den kleinen Gaby zu seinem Vater bringt, liegt der betrunken in seiner Ecke. Also bleibt der Knirps bei ihr, ein goldlockiger Junge, der sich in Windeseile den Slang der Gruppe aneignet: „Fick deine Mutter“, brüllt er strahlend einem Bus hinterher, der ihn auf den Bürgersteig gedrängt hat.

Nur am Ende, wenn eine erbarmungswürdige Louise auf der Suche nach Rémi durch das verschneite Paris, irrt, wird man ein wenig sauer auf den Regisseur: Weil er Mitleid für sie verlangt. Und es dauert auch viel zu lange. Da behandelt Siegfried sein Publikum wie ein mec seine begriffsstutzige Ische. Was soll's. Allein die Szene, wo Remi und Gaby vor einem Gemälde im Louvre stehen, die Rückenansicht einer schönen nackten Dame bewundern und Gaby dem eifersüchtigen Rémi was über die Liebe erzählt, wiegt diese letzten schwachen zwanzig Minuten auf.

„Louise (Take 2)“. Regie, Buch, Musik: Siegfried. Mit Elodie Bouchez, Roschdy Zem u. a., Frankreich 1998, 110 Min.