„Wir haben ES getan“

■ In Garry Marshalls Film „Ganz normal verliebt“ kämpfen zwei geistig behinderte junge Menschen für ihr Recht auf Sex

„Weckt mich auf, wenn es lustig ist“: So heißt die Autobiografie des durch „Pretty Woman“ bekannt gewordenen Regisseurs Garry Marshall. In seinem neusten Film, der als „bittersüße, romantische Komödie“ verkauft wird, lohnt es sich, wach zu bleiben: An manchen Stellen ist „Ganz normal verliebt“ nämlich wirklich witzig.

Jedenfalls ist der Film nie so richtig peinlich. Das ist gar nicht wenig – schließlich sind die Hauptfiguren Menschen, die nur zu leicht der Schadenfreude ausgeliefert werden könnten: die geistig behinderte Carla Tate (gespielt von Juliette Lewis) und ihr kongenialer Schulkamerad Danny (Giovanni Ribisi).

Trotz ihrer Behinderung will Carla nach dem Vorbild ihrer beiden älteren Schwestern Caroline und Heather ein ganz normales Leben führen: aufs College gehen, sich einen Freund anlachen und in eine eigene Wohnung ziehen. Erleichtert werden diese Ambitionen durch den Reichtum ihres Elternhauses und die Großzügigkeit ihres – nur von Alkohol getrösteten – Vaters (der nicht nur aussieht wie Jimmy Carter, sondern auch tatsächlich ein Weichei ist).

Dafür macht die überbesorgte Mutter umso mehr Schwierigkeiten: Elizabeth Tate (als Hausdrache überzeugend von Diane Keaton gespielt) kämpft mit aller Kraft gegen den Unabhängigkeitswillen Carlas. Klar, dass das nicht ohne Tränen abgeht. Wer sich für Familienkrach, Psychoterror und ähnliche Probleme der amerikanischen Upperclass interessiert, kommt hier voll auf seine Kosten. Das ganze Grauen der bürgerlichen Suburb-Welt zwischen der „Animal Rescue Party“ der Tierschutztanten und Thanksgiving wird so anschaulich dargestellt, dass man sich fragt, wieso nur so wenige US-Teenager zur Waffe greifen.

Carla ertrotzt sich den Besuch des College. Dort lernt sie – ganz so, wie aus den einschlägigen Garry-Larson-Cartoons bekannt – den ebenfalls geistig behinderten Danny kennen. Danny ist als Bäckergehilfe viel ärmer als Carla. Er lebt allein; nur sein Vermieter Ernie (Hector Elizando) kümmert sich ein bisschen um ihn. Das Drehbuch scheint Ernie vor allem deshalb eingefügt zu haben, damit in dem Film wenigstens ein Vietnam-Kriegsveteran auftreten kann, der verkörpert, was sich die Amerikaner unter Warmherzigkeit und Lebenserfahrung vorstellen. Außerdem spielt Hector Elizando in allen Marshall-Filmen mit.

Wie von Mama Elizabeth Tate vollkommen zu Recht befürchtet, entdecken Carla und Danny ihre Sexualität. Sie gehen dabei anhand des Lehrbuchs „Joy of Sex“ vor: „Seite 46 sieht recht gut aus. Oder nehmen wir Seite 39?“ Als Danny dann zur Verlobungsfeier von Carlas Schwester Caroline in den feinen Countryclub eingeladen wird, lässt er es sich nicht nehmen, sich Mut anzutrinken und dann der versammelten Highsociety lautstark zu verkünden: „Wir haben ES getan!“ Was für eine Blamage! Die Szene erreicht zwar nicht die Qualität der Monika-Lewinsky-Realsatire – aber es ist trotzdem lustig, wie die von Elizabeth Tate so krampfhaft verteidigte Fassade „Wir sind eine normale, glückliche US-Familie“ zusammenkracht. Carla ist zutiefst verletzt und trennt sich erst einmal von Danny.

Eher dürftig dagegen das Filmende: Nach längeren Umtrieben und Verfolgungsjagden können die beiden Behinderten, der arme Danny und die reiche Carla, doch noch heiraten, Elizabeth Tate kommt sogar zur Trauung und akzeptiert bei dieser Gelegenheit auch, dass Carlas Schwester Heather Lesbe ist; viele Tränen fließen, und eine uniformierte Blasmusikkapelle marschiert vorbei. Spannung, Diskriminierung gesellschaftlicher Minderheiten, soziale Frage, Generationenkonflikt, Gefühl und Patriotismus – ist das nicht etwas mager? Zumindest der Holocaust, die Zerstörung der Urwälder und die Rassenfrage hätten schon auch noch abgehandelt werden können. Weckt mich auf, wenn es mal ein wirklich perfektes Happy End gibt. Martin Ebner

„Ganz normal verliebt“. Regie: Garry Marshall. Mit Juliette Lewis, Diane Keaton, Tom Skerrit u. a., USA 1998, 131 Min.