„Eine Sprache, die keinem Volk gehört“

■ Franz Stocker, Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes, hält den Sprachenstreit in der EU für eine Machtpolitik der stärksten Mitgliedstaaten. Esperanto wäre die demokratische Alternative

Esperanto als Arbeitssprache der EU – mit diesem Vorschlag soll ein Beitrag zur Lösung des Sprachenstreits in der EU geleistet werden. Bis Ende der Woche tagen in Berlin 3.000 Esperanto-Sprecher aus 64 Ländern beim Esperanto-Weltkongress.

taz: Herr Stocker, sagen Sie bitte einen Satz auf Esperanto.

Franz Stocker: Mi salutas ciujn legantojn de la tageszeitung in Berlino.

Sie haben eine Mitarbeiterin der taz begrüßt?

Nein, alle Leser.

Die Sprache klingt dem Deutschen nicht sehr ähnlich.

Der Wortschatz besteht zu 70 Prozent aus Wurzeln des romanischen Sprachraums, der Rest aus germanischen, slawischen und anderen Sprachen. Die Grammatik basiert auf keiner Sprache, sondern ist frei. Ihre Struktur orientiert sich an asiatischen Sprachen.

In der EU wird derzeit heftig über die Arbeitssprachen gestritten. Können Sie sich vorstellen, dass sich die Bundesregierung für Esperanto anstelle von Deutsch als Arbeitssprache einsetzt?

Das ist im Moment wohl unrealistisch. Ich könnte mir aber vorstellen, dass man sich einigt, Esperanto als Sprache hinzuzufügen.

Wäre denn Esperanto eine geeignete Alternative?

Man muss sich klar machen, was gerade in der EU passiert: Das ist schlichte Machtpolitik. Die Bundesregierung versucht sich mit dem Argument „Wir sind die stärksten und die meisten“ Vorteile zu verschaffen. Diese Möglichkeit haben etwa Griechen oder Portugiesen nicht. Sie haben keinen mächtigen Herrn Schröder im Rücken, der für sie kämpft. Im Prinzip ist das ist eine völlig undemokratische Art, wie man an diese Frage herangeht.

Esperanto wäre demokratisch?

Esperanto ist eine Sprache, die keinem Volk gehört. Eine neutrale Sprache, die niemanden bevorzugt. Die Finnen haben jetzt, diesem Prinzip folgend, Texte der EU ins Lateinische übersetzt. Gegenüber Latein hat Esperanto jedoch den Vorteil, dass es leichter lernbar ist und auch sprechbar.

Wie ließe sich Esperanto denn sinnvoll in der EU einsetzen?

Zum Beispiel bei Übersetzungen. In der EU wird etwa aus dem Griechischen nicht direkt ins Portugiesische übersetzt, sondern Französisch dazwischen geschaltet. Statt Französisch als Brückensprache könnte Esperanto eingesetzt werden.

Haben Sie in der EU schon Unterstützung gefunden?

Im Europaparlament gab es in der vergangenen Legislaturperiode 150 Abgeordnete, die uns unterstützt haben. Auch die gerade abgetretene Kommissarin Emma Bonino hat sich für Esperanto eingesetzt.

Aber ehrlich gesagt: Realistisch ist es nicht, dass Esperanto EU-Sprache wird.

Was heißt schon realistisch. Vor zehn Jahren hat auch niemand gedacht, dass wenige Monate später die Berliner Mauer fällt. Interview: Jutta Wagemann