Generalstreik nach Massaker

Indonesien: Die Bevölkerung der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Aceh wehrt sich gegen die von der Zentralregierung in Jakarta entsandten Truppen  ■   Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Wie ausgestorben waren gestern die Städte und Dörfer in Indonesiens rebellischer Provinz Aceh: Auch am zweiten Tag befolgten die meisten Acehnesen den Generalstreik, den 28 Studenten- und Bürgerrechtsgruppen zum Protest gegen das repressive Militär ausgerufen hatten. Dies war der größte politische Ausstand in Indonesien seit Mitte der sechziger Jahre – und zugleich ein Hinweis, wie explosiv der Zorn gegen die Zentralregierung in Jakarta nach den jüngsten Massakern der Armee geworden ist.

Zugleich weigerte sich in Jakarta eine Gruppe von neun Acehnesen das Geländer der niederländischen Botschaft zu verlassen. Sie waren zu Beginn des Streiks in die Vertretung vorgedrungen und forderten die frühere Kolonialmacht auf, sich für die Unabhängigkeit Acehs einzusetzen.

Überall in Aceh bot sich seit Mittwoch das gleiche Bild: Die Geschäfte waren geschlossen, an den Bushaltestellen warteten nur wenige Passanten vergeblich auf die Busse, deren Fahrer nicht in den Depots erschienen waren. Nur Ambulanzen und Armeefahrzeuge waren unterwegs. Soldaten brachten die Beamten mit Militärtransportern an ihre Arbeitsplätze.

Auslöser des Streikes: Nach dem jüngsten Massaker vom Ende Juli, bei dem Soldaten offenbar aus Rache über fünfzig Dorfbewohner als Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung „Freies Aceh“ auf offenem Feld erschossen, hatte eine Koalition von Bürgergruppen die Regierung aufgefordert, die verhasste Aufstandsbekämpfungstruppe abzuziehen. Außerdem solle Jakarta den Plan aufgeben, eine neue Militärkommandantur in Aceh einzurichten.

Jakarta wies diese Forderung brüsk zurück. Stattdessen kündigte der als beinhart bekannte Polizeichef Roesmanhadi eine neue Militäroffensive an: Innerhalb von einem halben Jahr soll die Armee alle bewaffneten Mitglieder von „Freies Aceh“ gründlich „vernichten“. Jeder Widerstand gegen die Regierung in Jakarta werde erstickt. Ab sofort gelte zudem Schießbefehl gegen jeden Zivilisten, der mit einer Waffe angetroffen werde. Über 6.000 Soldaten und Hilfssheriffs sollen laut Roesmanhadi gegen die auf 200 Kämpfer geschätzte Guerilla von „Freies Aceh“ vorgehen. In den letzten Wochen waren bereits 3.100 Mitglieder einer Aufstandsbekämpfungseinheit und 2.000 andere Soldaten zur Verstärkung in der Region eingetroffen.

Viele Bewohner Acehs versetzte diese Ankündigung in Angst. Etwa 100.000 Acehnesen flohen vor der Armee, die das Land auf der Suche nach Separatisten durchkämmt, aus ihren Dörfern in Städte und Moscheen.

Die Bevölkerung erinnert sich noch zu genau an die schreckliche Zeit zwischen 1989 und 1998, als der damalige Präsident Suharto die Region unter Militärrecht stellte, um den tief verwurzelten Widerstand gegen die Vorherrschaft aus Jakarta zu brechen. Abgeschottet von der Öffentlichkeit – Journalisten durften nicht nach Aceh reisen – terrorisierten die Militärs die Bevölkerung. Mord, Folter und Vergewaltigung waren an der Tagesordnung. 2.000 Leichen wurden nach dem Rücktritt Suhartos in Massengräbern gefunden Viele Verschwundene sind bis heute nicht aufgetaucht.

Seit Beginn dieses Jahres sind in Aceh über 200 Menschen ermordet worden. Die meisten wurden von Militärs erschossen. Aber auch Soldaten fielen dem Konflikt zu Opfer: Über 40 wurden – nach Angaben der Armee – bei Überfällen der Separatisten erschossen.

Wie groß und wie gut organisiert „Freies Aceh“ derzeit tatsächlich ist, weiß niemand so recht. Ihr Chef sitzt im Exil in Schweden.

Obwohl Suhartos Nachfolger B. J. Habibie die Opfer inzwischen um Verzeihung bat, ist kein einziger Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen worden. Ein Militärkommandeur, der damals besonders scharf wütete, ist der heutige Innenminister General Syarwan Hamid.