Wenden, umfärben, fertig

Guter Rat ist teuer, wie ein altes Sprichwort sagt. Stimmt nicht unbedingt. Denn im real existierenden Sozialismus kostete ein solcher schlappe 1,25 Mark der DDR. Ein Rat, ach was, ein ganzes Sammelsurium an Ratschlägen gab es für das bisschen Geld. „Guter Rat“ nannte sich ein Magazin aus dem Leipziger Verlag für die Frau, das alle Vierteljahre auf den Zeitschriftenmarkt der DDR kam. Wie aus Mangelwirtschaft ein verlegerisches Erfolgskonzept entstand, schildert  ■ Andreas Hergeth

Der Gute Rat war in Deutschland die erste Neugründung einer Zeitschrift nach dem Zweiten Weltkrieg – noch vor Spiegel, Stern und Zeit. Die sowjetische Militärverwaltung gab bereits im November 1945 die Druckgenehmigung. „Von da an stillte der kleine Verlag die Sehnsüchte der abgemagerten Nachkriegsdeutschen nach Normalität mit Tipps für Anfänger in Friedenszeiten“, schrieb Dominique Krössin in „Wunderwirtschaft“ (Böhlau-Verlag). „Die Leser bauten nach Anleitung Kochkisten und sparten Kohlen. Sie schafften Vorräte durch Einwecken und Trocknen. Mit Schnittmustern lernten sie, aus Uniformen Knabenanzüge zu nähen. Wenden, Umfärben, Reste verwerten, die hohe Kunst des Improvisierens hat der Gute Rat bis tief in die DDR-Zeiten hinein gelehrt.“ Das Magazin mit Tipps und Ratschlägen für alle sozialistischen Lebenslagen.

Die Berlinerin Beate Wagner gehörte zu den Lesern. Die gelernte Kindergärtnerin brachte es zwar nie zu einem Abonnement, denn die waren begrenzt – was unter anderem an den knappen Papierkontingenten lag. „Ich habe den Guten Rat gelesen, wenn ich ihn durch Zufall kaufen konnte oder ein mir bekannter Zeitungshändler ein Exemplar zurücklegte“, erinnert sich die 58-Jährige, die heute als Sekretärin im Institut der Europäischen Ethnologie der Berliner Humboldt-Universität arbeitet. Sie bezeichnet das Blatt als typische Frauenzeitung. Für den heimwerkenden Mann erschien seit 1967 sechsmal jährlich die Zeitschrift pratic. Nach dem Motto „Wie mache ich's mir selbst“ drehte sich in dem Blättchen alles ums Selberbauen. Unterschwelliger Effekt: Die private Bastelei schonte knappe Ressourcen und überbrückte manchen Versorgungsengpass.

Die Erfindungen waren geradezu phantastisch. Not macht eben erfinderisch. Weil beispielsweise die industriell hergestellten Haartrockenhauben nichts taugten, baute der Papi der Mami eben selbst eine, die zudem besser funktionierte. „In den Boden eines großen Plasteeimers bohrt man ein Loch, durch die Öffnung wird der Föhn gesteckt.“ Fertig. Sah ziemlich blöd aus, erfüllte aber den Zweck: Muttis Haare wurden endlich trocken. Die Zeitschrift pratic hat die Wende nicht überlebt.

Gute Rat-Leserin Beate Wagner erinnert sich an die Vorstellungen neuer Produkte der Keramikindustrie, an Modetipps oder Ratschläge zu Kindererziehung oder Wohnraumgestaltung. Die Bandbreite der Hinweise, Produktinformationen und Rezpete etc. war in der Tat erstaunlich. „Ich habe sogar die Tierpflegetipps gelesen, obwohl wir nie ein Haustier hatten.“

Vieles war lustig und skurril, wenigstens im Rückblick: So brachte das erste Heft des Jahres 1971 einen Testbericht über die damals noch neue Aluminiumfolie. Diese sei nicht nur „sauber und appetitlich“, sondern auch dekorativ und phantasieanregend. Denn: „Alufolie in der Hand des Kindes besitzt einen ebenso großen erzieherischen Wert wie Knete oder Papier.“ Jaja, die DDR und der Gute Rat hatten ein Herz für Kinder. Im gleichen Heft, ein paar Seiten weiter, finden sich „vergessene Spiele“, denn die bieten „Spaß mit wenig Mitteln“. Mit den Bauanleitungen für Stelzen und dergleichen verdeutlichte das Blatt – wenn auch unbeabsichtigt –, worum es im Guten Rat eigentlich ging: Neben der Vorstellung und damit Bewerbung neuer Produkte sowie allerhand Warenkunde drehte sich alles darum, Reste zu verwerten, Ressourcen zu sparen und nicht zuletzt der sozialistischen Hausfrau und Mutter, die ja in der Regel zudem berufstätig war, Wege und Mittel aufzuzeigen, wie sie mit weniger Aufwand zum gleichen Ziel kam. Egal ob es sich um ein behagliches Wohnzimmer oder ein exotisches Gericht handelte.

Behandelt wurden die Vorteile der verschiedenen Öle und Margarinen, von denen es gut überschaubar nur einige Produkte gab. Man servierte Tipps für ein kinderfreundliches Bad oder besuchte Leser und zeigte deren Wohnzimmer, um so anderen Lesern Einrichtungsideen zu vermitteln. Griff aber auch soziale Tendenzen in der sozialistischen Gesellschaft auf. So tauchte im zweiten Heft des Jahres 1972 neben „Spießgesellen am Grill“ und Tipps fürs Picknick ein Beitrag zum Thema Scheidung und Unterhaltszahlungen auf. Und zwischen Geschirrspülautomat und neuen energiereduzierten Nahrungsmitteln wird unter der Überschrift „Wenn Ihr Kind die Stachlen zeigt“ darüber debattiert, wie man den „Unarten unserer Kinder“ begegnen kann, und geraten, „nach dem Benehmen Ihres Kindes in anderen Kollektiven zu forschen“.

Lustiger sind die Testergebnisse von sieben Schlag- und Rührgeräten. Da stellten sich die RedakteurInnen in die Küche und schlugen Schaum, was das Zeug hielt. Aber manchmal sorgten die kreisenden Rührbewegungen „unter Umständen dafür, dass sich die Schlagrute aus dem Plastegriff drehte“. Trotzdem erwies sich das bemängelte Produkt als „das beste Gerät“. Die DDR-Variante von Stiftung Warentest hatte gesprochen. Und dass es auch sozialistische elektrische Zahnbürsten gab, muss man erst zehn Jahre nach der Wende aus einem alten Heft (2/74) erfahren. Dagegen hätte man schon damals den Beitrag „Wie erziehen wir unsere Kinder zu sozialistischen Patrioten und Internationalisten?“ (Heft 2/75) sicher nicht gelesen.

So oder ähnlich ratschlagte der Gute Rat bis zum Ende der DDR. Da wurden im Heft 4/83 die „Kuba-Orangen mit viel Saft“, die eigentlich keiner essen wollte, oder Patchworkdecken als schöne Idee gepriesen, Stoffreste zu verarbeiten. Die achtziger Jahre mit ihrer Mangelsituation in Sachen Versorgung und das Gebot zum Improvisieren prägten das Blatt. Lange her. Der nette Mann im Zeitungsladen in Friedrichshain weiß sofort, wo die Zeitschrift zu finden ist. Im Ständer am Fenster, gleich unter Capital.

Ob den Guten Rat viele kaufen? O ja, der gehe gut, „besser als dieser ganze Lifestylekram. Wissen Sie, den Guten Rat gab es schon zu DDR-Zeiten, man hat ja damals öfter aus nichts etwas machen müssen. Und in der Zeitschrift standen wirklich gute Tipps. Und so ist es auch heute noch. Denn der Gute Rat ist ja doch mehr für den Osten gemacht. Die schreiben gezielt für die Bedürfnisse der Ostdeutschen.“ Stimmt und stimmt doch wieder nicht. Geändert hat sich natürlich zunächst eins – der Preis. Jetzt kostet Guter Rat 3,50 Mark, er kommt monatlich und ist natürlich viel bunter als früher und auf besserem Papier gedruckt. Und macht mit Geschichten wie „Mehr Geld für Familien“ oder „Nie wieder Grippe“ auf. Die Informationen und die Ratschläge zu Husten und Schnupfen sind aber alle bestens bekannt und entsprechend altbacken. Interessanter sind da schon die Tipps zu Fitness-Studios oder zum Wegfall der Kappungsgrenze für Mietwohnungen zu lesen. Gut geschrieben, sauber recherchiert, dazu viel Service mit Kontaktadressen für Hilfe vor Ort.

Dazu Neues zu den Themen Geld (“Euro und Hypothek. Worauf Sie jetzt achten müssen“) und Versicherung, Börse und Steuertipps sowie ein Karriere-Knigge (Heft 11/98): „Was bei Chefs gut ankommt“. Und ein im Herbst letzten Jahres eingeführtes Leserforum, sozusagen ein Erfahrungsaustausch von Leser zu Leser. Das kommt bekannt vor. Werner Zedler ist seit September letzten Jahres Chefredakteur des Blattes. Zuletzt war er stellvertretender Chefredakteur der SuperIllu, des Leib-und-Magen-Blatts vieler Ostdeutscher. Zedler nennt den DDR-Guten-Rat ein „Zentralorgan der Mangelwirtschaft“ und hat Recht damit.

Dennoch ist es eins der wenigen Blätter, die die Wende bis heute überlebt haben und sich zudem „auch auf dem westdeutschen Markt etablieren konnten“. Bei einer verkauften Auflage zwischen 230.000 und 265.000 Stück kommt das Verbrauchermagazin auf 1,7 Millionen Leser, wie der Verlag für die Frau GmbH, der zur Nürnberger Sebaldus-Gruppe gehört, errechnen ließ. In Ost- und Westdeutschland ähneln sich die Verkaufszahlen. Der Großteil der Abos aber geht nach wie vor in den Osten. Der durchschnittliche Leser ist heute, so Zedler, „männlich, zwischen vierzig und sechzig und kommt auf ein durchschnittliches Haushaltseinkommen von rund viertausend Mark“.

Unmittelbar nach der Wende ist der Gute Rat zu einem „wichtigen Ratgeber in unübersichtlichen Zeiten“ geworden, wie Zedler das nennt. „Das Leben hatte sich plötzlich geändert, alles war neu, die Menschen mussten sich neu orientieren. Ein Begleiter in den Westen war nötig.“ Und der Gute Rat nahm den unwissenden Ostler bei der Hand, klärte auf, half in vielen Lebenslagen. Wie früher, nur anders. Die Themen änderten sich halt.

Und ändern sich immer noch: „Jetzt, wo die Überleitungsgesetze auslaufen, fällt eine Sonderfunktion unseres Magazins weg.“ Aber an Ersatzthemen mangelt es nicht: „Das Leben wird doch immer komplizierter, man muss sich immer mehr um sich selbst und seine Nächsten kümmern.“

Wie sehr er doch Recht hat. Es gab und gibt auch künftig genug zu erklären und zu raten. In Ost wie West. Die Interessenlagen haben sich längst angeglichen. Die Einheit auf dem Beratungsmarkt.

Andreas Hergeth, 33, Stahlschiffbauer und Kulturwissenschaftler, arbeitet als freier Journalist in Berlin