We are the Champions

Erstmals in Deutschland: Psychiatrie-Weltkongress in Hamburg  ■ Von Karin Flothmann

Er trägt eine schwarze Bomberjacke, Springerstiefel und eine Bierdose. Zielstrebig bahnt sich der junge Mann einen Weg über den Vorplatz des Hamburger Congress Centrums (CCH). Er hat eine Bierfahne, und er gröhlt. „We are the champions“, den Song hat er drauf. Herren im Anzug grinsen gequält, Damen im Kostüm weichen erschrocken zurück. Im Zelt vor dem CCH marschiert der trunkene Punk zu Schalter Nummer 7 und möchte sich als Kongressteilnehmer registrieren lassen. Am XI. Weltkongress für Psychiatrie, der am Freitag abend in Hamburg offiziell begann, wird der junge Mann nicht teilnehmen. Dafür fehlte ihm gestern das nötige Kleingeld.

900 Mark muss berappen, wer in den kommenden Tagen die Elite der internationalen Psychiatrie kennenlernen will. Die Veranstalter, der Weltverband für Psychiatrie WPA, rechnen mit mehr als 10.000 ExpertInnen aus aller Welt. Unter dem Motto „Psychiatrie auf der Schwelle zum nächsten Jahrtausend“ werden sich die KongressteilnehmerInnen bis zum kommenden Mittwoch mehr als 3000 Vorträge anhören können. Parallel dazu finden rund 350 Symposien, Workshops und Kurse statt, die alle um psychische Krankheiten und ihre Behandlungsformen kreisen.

Legitimiert ist das Treffen der Psychiater allein schon durch Zahlen: Nach Schätzungen der WHO leiden weltweit mehr als 800 Millionen Menschen an psychischen Erkrankungen. Allein 140 Millionen von ihnen haben Depressionen. Psychische Störungen sind nach Auffassung der Weltbank zur zweithäufigsten Ursachen für krankheitsbedingte Invalidität geworden. „Dieser Kongress“, so ist Norman Sartorius, Präsident der WPA, überzeugt, „wird alle vorangegangenen im Hinblick auf die Qualität der Fachveranstaltungen, die perfekte Organisation und die Gelegenheit zu internationalem Erfahrungsaustausch übertreffen“.

Stolz sind die Organisatoren auch darauf, dass der Weltkongress für Psychiatrie erstmals in Deutschland stattfindet. Die Entscheidung für Deutschland als Veranstaltungsort „setzt ein deutliches Signal, dass trotz des systematischen Missbrauchs der Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus Deutschland als Standort für einen psychiatrischen Weltkongress international akzeptiert wird“, sagt der Leiter der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Wolfgang Gaebel. Zugleich betont er, der Kongress stehe auch Betroffenen offen, die am eigenen Leib Erfahrungen mit der Euthanasie der Nazis gemacht haben. Außerdem, so Goebel, „wünschen wir uns eine lebhafte Diskussion mit allen, die auch im Umfeld mit der Psychiatrie konfrontiert sind.“

Dass sich Betroffene den stolzen Eintrittspreis für den Kongress leisten können, ist allerdings nicht zu erwarten. Auch der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener wurde nicht explizit eingeladen. Er veranstaltet daher in der Universität Hamburg einen alternativen Kongress unter dem Titel „Psychiatrie und Nationalsozialismus“ (taz berichtete. Siehe auch Dokumentation des Vortrages von Ernst Klee auf der folgenden Seite).

Der junge Punk am Schalter 7 des Kongress-Zeltes hat sein Formular ausgefüllt und bedankt sich. „Es war nett bei euch“, nuschelt er und nimmt einen Schluck aus der Dose. Drei Herren in dunklen Anzügen folgen ihm auffällig, während er das Zelt verläßt.