Infernalische Ausbrüche

■ Wall of Sound: Tobias O. Meißners Pop-Roman „HalbEngel“

Die Gitarre kreischt und brüllt. Ihr ohrenbetäubendes Geheul bringt die Wände zum Beben. Sie ist die Stimme von Floyd Timmen, der mit ihr alles in Grund und Boden schreit, was er verachtet: seine provinzielle Heimatstadt Harrison, die Zwänge des Spießertums, den Kapitalismus.

Der zweite Roman HalbEngel des Wahlberliners Tobias O. Meißner spielt wie sein Erstling Starfish Rules in der Neuen Welt. In zwölf als Rhythmen überschrieben Kapiteln zeichnet er den Werdegang der fiktiven Heavy Metal Band Mercantile Base Metal Index nach. Im Zentrum steht Floyd Timmen, der Lead Gitarrist. Er ist der Halbengel, ein Jimi Hendrix der Jetztzeit, und sein Drang nach musikalischen Höhepunkten scheint ungebrochen. Mit ihm kreierte Meißner den Prototypen eines Rockmusikers, der den absoluten Klangrausch will. In kleinen Zeitsprüngen beschreibt er dessen musikalische Entwicklung: Als Floyd sieben war, faszinierten ihn Kirchenglocken. Als er fünfzehn ist, beschließt er, dass die Musik der Schlüssel ist, aus allem rauszukommen, the way out.

Es geht also um Rock–n–Roll in den Neunzigern, soviel ist klar. Doch zerschlägt zerschlägt keine Hotelzimmer. Seine Gitarre, die Les, ist seine Leidenschaft und seine einzige Waffe. Mit ihr durchbricht er die Schallmauer. Die Frage ist, was das dem Leser sagen soll. Meißner versucht, gleich 250 Seiten zum Klingen zu bringen. Wenn die Musik sprachlich nachempfunden wird, die infernalischen Ausbrüche der Band hörbar gemacht werden, ist HalbEngel am stärksten.

Da wird tatsächlich ein „Wall of Sound“ aufgetürmt, Schwingungen aufgebaut. Doch was besungen wird, bleibt unklar. Die Charaktere erstarren zur Schablonen, der Wortfluß überschlägt sich oder tritt auf der Stelle. Der Roman will eine Hymne an das andere Medium sein – aber das eigene scheint auf Dauer nicht mitzukommen.

Anna von Villiez

Tobias O. Meißner, HalbEngel, Rotbuch Verlag 1999, 248 S.